Buch

Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 19 (1995)

"Was der General–Bass sey?" Beiträge zu Theorie und Praxis II

Peter Reidemeister (Hg.)

  • Reihe/Serie
    Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis
  • Band
    19
  • Ort
    Winterthur
  • Verlag
    Amadeus
  • Jahr
    1996
  • ISBN
    978-3-905049-71-8
  • Typ
    Buch
Schlagwörter

Generalbass; Basso continuo; Rezitativ; 18. Jahrhundert

I. "WAS DER GENERAL-BASS SEY?". BEITRÄGE ZU THEORIE UND PRAXIS I

Augusta Campagne: Die Anfänge des Generalbasses oder Die Praxis des Begleitens im italienischen Frühbarock
Die Praxis, instrumentale Bässe aus einer eigenen Stimme zu spielen und hierbei die restlichen Stimmen zu ergänzen, stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Gemäss den bekannten Quellen begleitete man entweder auf polyphone oder auf homophone Art - je nachdem, welcher regionalen und stilistischen Tradition ein Stück zugehörte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war neben rein akkordischem, aus der Tanzmusik stammendem Spiel das Intavolieren die üblichste Art der Begleitung. An Hand einiger Quellen wird darüber hinaus versucht, einige praktische Anregungen zur Generalbass-Aussetzung zu geben. 

Jean-Yves Haymoz: Französische Generalbass-Schulen zwischen Delair und Rameau
Die französische Generalbass-Praxis unterscheidet sich deutlich von der italienischen und deutschen, durch strikte Regeln festgelegten Praxis. Nach den Quellen ist es nur die Sensibilität des Anschlags und die Wahl der Akkorde, die einen erfahrenen Generalbass-Spieler von einem Anfänger unterscheidet. Die einschlägigen Traktate von Delair bis Rameau richten sich sowohl an Liebhaber (es gehörte für Leute von Stand zum guten Ton, Cembalo zu spielen) wie auch an professionelle Musiker. Im 17. und 18. Jahrhundert deuten alle Hinweise auf französisches Generalbass-Spiel in diese Richtung. Das brachte Rameau dazu, sein neues musikalisches System einzuführen. 

Heidrun Rosenzweig: Zwei spanische Quellen zum Generalbaß-Spiel auf der arpa de dos órdenes. Pablo Nassarres Escuela Música und Diego Fernandez de Huetes Compendio numeroso
Mit dem Aufkommen des Begleiteten Sologesangs entfaltet sich von ca. 1620-1750 die Blütezeit der spanischen, kreuzseitig bespannten arpa de dos órdenes. In Spanien war die Harfe als Continuo-Instrument unerlässlich, sie musste an bestimmten Festtagen die Orgel ersetzen. Sie war tragbar, hatte eine durchdringende Resonanz und diente dazu, die Intonation und den rhythmischen Puls der (Solo-)Sänger zu wahren. Eine bis zu sechsstimmige Begleitung war möglich. Fertigkeiten im Continuo-Spiel wurden bei einer Anstellung höher bewertet als das Solospiel. Die Begleitung hatte nach festliegenden Regeln zu erfolgen, wobei das Verbot paralleler Oktaven/Quinten auf der Harfe jedoch nicht bindend war. 

Gerhart Darmstadt: Zur Begleitung des Rezitativs nach deutschen Quellen des 18. Jahrhunderts. Eine Dokumentation
Diese Arbeit stellt die Quellen des 18. Jahrhunderts zur Begleitung des italienisch orientierten Rezitativs im deutschsprachigen Raum vor. Zunächst wird das Rezitativ mit Definitionen der Zeit als die Satzart beschrieben, welche eine ideale Verbindung von Wort und Affekt ermöglichte. Quellen zur Gesangspraxis sind insoweit in die Arbeit mit einbezogen, als sie Hinweise zum Metrum und zur Deklamation geben. Anhand der Johannes- und Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach werden wesentliche Fragen zur angemessenen Begleitung der Secco-Rezitative und zur Situation der derzeitigen Editionspraxis erörtert. Zur Problematik des Aushaltens oder Nichtaushaltens der Begleittöne im Continuo liegt eine umfangreiche Quellensammlung vor, die hauptsächlich Hinweise auf eine kurze Ausführungsart gibt, aber durchaus auch Abweichungen davon zulässt. Hier muss für jeden Komponisten differenziert geprüft werden, welche quellenmässigen Zusammenhänge für ihn Gültigkeit haben. Für die Accompagnato-Rezitative wird auf die Übereinstimmung von Notation und Ausführung hingewiesen. Im Anschluß daran folgen Quellen für Tasteninstrumente und Theorbe zu den Themenkomplexen: Besetzungsfragen, Orgelregistrierungen, Vollstimmigkeit, Arpeggios, Akkordbrechungen, harmonische Begleitung, Zwischenharmonien, Zwischensätze, Kadenzen, Krisenmanagement. In dem Kapitel für Violoncello wird eingehend die Praxis des späten 18. Jahrhunderts geschildert, Rezitative allein von einem Violoncellisten mit Akkorden ausführen zu lassen. Das Dirigieren von Secco-Rezitativen wurde im 18. Jahrhundert weitestgehend abgelehnt, wenn gute Continuospieler vorhanden waren. Ein kurzer Blick wird abschließend auf das Arioso, bzw. auf ariose Teile im Rezitativ, und speziell auf die Anweisung Andante gerichtet. Da die meisten Quellenaussagen über Rezitativbegleitung eher Hinweise für Anfänger enthalten und zur weiteren Belehrung auf lebendige Vorbilder verweisen, sind wir letzten Endes in vielen Fragen auf vorsichtige Rückschlüsse, auf praktische Erfahrungen, und auf das Bündeln von Indizien angewiesen.

Karl-Ernst Schröder: Lautenaussetzungen zu Arien aus Johann Adolf Hasses Oper CleofideDie im Leipziger Lauten-Tabulatur-Manuskript Ms. III. 11. 46. a ausgesetzten Continuo-Stimmen für Barocklaute enthalten einige beachtenswerte Hinweise auf die Continuo-Praxis für Lauteninstrumente des 18.Jahrhunderts. Im Allgemeinen wird in diesen Aussetzungen die originale Baßlinie auf der Laute komplett mitgespielt - wenn irgend möglich eine Oktave tiefer. Die Oberstimme des Lautensatzes folgt meist, zumindest schwerpunktmäßig, der jeweiligen Arien-Oberstimme. In den Lautensätzen, die rhythmisierte Arpeggien enthalten, zeigt sich, dass in wiederholt auftauchenden Passagen jeweils unterschiedliche Arpeggio-Muster verwendet wurden - variatio delectat.

Andreas Staier: "... einen ganz anderen Gebrauch der Harmonie als vordem " Der Generalbaß bei Carl Philipp Emanuel Bach
An zwei Punkten erweist sich das Neue von C.Ph.E. Bachs Generalbassbehandlung besonders deutlich: an der barocker Praxis gegenüber ausgedünnten Stimmenzahl sowie an der Vorhaltbehandlung. "Delicatesse" und "Feinigkeit" treten an die Stelle opulenter Fundamentalität, dargestellt zunächst am 2. Teil seines Versuchs (1762), des weiteren an den späten Drey Quartetten (1788). Hierbei zeigt sich, dass Bachs äußerst präzise Vorstellungen von der Begleitung letztlich auf die Abschaffung der Bezifferung, auf das obligate Accompagnement hinauslaufen. Sein Traktat bescheidet sich nicht mit der hergebrachten Generalbass-Materie, sondern tendiert zu einem Entwurf allgemein "clavieristischer" Textur, dessen Bedeutung und Implikationen, wie es scheint, weit über seinen direkten norddeutschen Umkreis hinaus erkannt wurden. Anhand ausgewählter Beispiele aus Werken der Wiener Klassiker wird dies skizziert.

Jesper B. Christensen: Über das Verhältnis zwischen der Solostimme und der Lage der Aussetzung. Zu einigen "Heiligen Kühen" des Generalbass-Spiels im 20. Jahrhundert
Es scheint die herrschende Lehr- und Spielmeinung zu sein, dass man nach Möglichkeit 1. nicht höher als die Solostimme geht, 2. die Töne der Solostimme nicht verdoppelt und 3. keine Dissonanzen oder andere besondere (chromatische) Klänge verdoppelt. Nach den Quellen besteht kein Anlaß, diese "Regeln" als allgemein gültig zu betrachten; sie gelten allenfalls für bestimmte Stile, Zeiten oder Komponisten. Ganz im Gegenteil geben viele wichtige Quellen an, dass man 1. den Generalbass unabhängig von der Solostimme spielen soll, manchmal also auch höher resp. erheblich höher, was vor allem die Instrumentalmusik betrifft, dass man 2. bei der Ausführung von Vokalmusik die Solostimme verdoppeln oder zumindest in ihrer Lage spielen soll (ohne Verdoppelung der Verzierungen, Koloraturen etc.) und 3. alle für das harmonische Geschehen relevanten Töne einzubeziehen sind, also auch Dissonanzen, Chromatik etc. In modernen Aufführungen wird die im 17. und 18. Jahrhundert sehr gut belegte Verdoppelung fugierter Einsätze nahezu gänzlich vernachlässigt, obwohl dies offensichtlich der üblichen Aufführungspraxis entsprach. Schließlich wird gezeigt, daß J.S. Bach - misst man ihn an den modernen "heiligen Kühen" - ein eher ungeübter Generalbaß-Spieler gewesen sein müsste.

II. BIBLIOGRAPHIE DER NEUERSCHEINUNGEN ZUR HISTORISCHEN MUSIKPRAXIS 1993/94, ZUSAMMENGESTELLT VON DAGMAR HOFFMANN-AXTHELM, 257-364