Book

Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 14 (1990)

Musik und Tanz im 15. Jahrhundert

Peter Reidemeister (Hg.)

  • Serie
    Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis
  • Band
    14
  • Ort
    Winterthur
  • Publisher
    Amadeus
  • Year
    1991
  • ISBN
    978-3-905049-45-9
  • Type
    Book
Keywords

Musik und Tanz; Tanzlied; Instrumentalensemble; Renaissance; 1400-1500

I. MUSIK UND TANZ IM 15. JAHRHUNDERT

Wulf Arlt: Zur Aufführungspraxis der Musik des 15. Jahrhunderts und zum Stand ihrer Reflexion
Als ein Bereich/Feld der "historischen" Praxis ist das 15. Jahrhundert weithin erst noch zu entdecken. Diese Entdeckung kann von der Erfahrung mit der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts in den 70er Jahren profitieren. Das betrifft vor allem zwei Aspekte, unter denen damals der traditionelle Kanon aufführungspraktischer Fragen erweitert wurde: 1. die Analyse der Musik selber und 2. eine Differenzierung nach Zeit, Stilbereich, Gattung etc. So bietet die Musik des 15. Jahrhunderts in ihrer stilistischen und geographischen Vielfalt und insbesondere im Verhältnis zwischen Musik und Text entscheidende Ansatzpunkte für den Dialog mit der Geschichte. Diese Ausweitung der Fragen sollte ihre Konsequenzen auch für die Wissenschaft haben.

David Fallows: Verzierung und Urtext in Lied-Repertoires des 15. Jahrhunderts
In welchem Ausmass sollten mehrstimmige Lieder des 15. Jahrhunderts verziert werden? Bekanntlich lernten damals alle jungen Musiker die Praxis des Verzierens, und ein neu entdecktes Handschriftenfragment aus dem 15. Jahrhundert trägt zu unserem Wissen bei, wie sie dabei hinsichtlich des Verzierens von Kadenzen vorgingen. Dennoch meine ich, dass beim größten Teil des Lied-Repertoires Verzierungen, die dem überlieferten Notentext zum Zeitpunkt der gesanglichen Ausführung hinzugefügt werden, nicht am Platze sind; und ich zeige, dass es in diesem Repertoire weit häufiger, als man annehmen sollte, einen einzigen, korrekt und sorgfältig gestalteten Urtext gibt. Auf der anderen Seite mögen gewisse überlieferte Varianten - hier dargestellt am Beispiel von "Jamais tant" von Binchois und von zwei der weniger reich ornamentierten Zeilen aus dem Buxheimer Orgelbuch - einige der Möglichkeiten aufzeigen, in welchem Spektrum die Artikulation des Sängers variieren kann.

Alejandro E. Planchart: Zwei Lieder des 15. Jahrhunderts und ihr Text aus der Nähe betrachtet
Dieser Beitrag bietet eine detaillierte Analyse zweier Lieder aus dem 15. Jahrhundert in Blick auf die Textunterlegung: Robert Mortons "Il sera pour vous - L'homme armé" und Guillaume Du Fays "Craindre vous vueil". In beiden Fällen bieten die überliefernden Quellen eine klare und sinnvolle Textunterlegung, aber bei beiden ergeben sich Probleme; zum einen aus der Natur der Lieder: im einen Fall ein combinative chanson und im anderen die Bearbeitung eines früheren Liedes; zum anderen durch gelegentliche Schreibfehler. Eine Analyse der Phrasierungen der Lieder bietet Lösungen in Hinblick auf die Textunterlegung. Diese Lösungen beziehen sich zwar auf die genannten Stücke, aber das Vorgehen lässt sich verallgemeinern und mutatis mutandis auf die verschiedenen Chanson-Repertoires des 15. Jahrhunderts übertragen. Angesichts der Art, wie Manuskripte des 15. Jahrhunderts überliefert sind, ist es allerdings klar, dass jedes einzelne Werk detailliert untersucht werden muss, ehe eine sinnvolle und erfolgreiche Lösung der Textunterlegung angeboten werden kann. Im gegeben Fall ist ein Nebenprodukt der Analyse der beiden Lieder die Klärung der Datierung und Autorschaft, - beides bislang als problematisch angesehen.

Nicoletta Gossen: Helas mon dueil, a ce cop sui je mort
Der Beitrag zu "Helas mon dueil" von Guillaume Dufay möchte aufzeigen, wie stark Musik und Text in diesem Lied aufeinander bezogen sind und dass die musikalische Formulierung einen entscheidenden Hinweis zur Situierung des poetischen Textes in einer bestimmten Tradition liefert. Diese kann bis in die Werke der Trouvères und zu den anonymen Lais zurückverfolgt werden. Anhand von Beispielen wird der Text dieser Dufay-Bergerette in seinen literarischen Zusammenhang gestellt und das Allgemeine vom Besonderen dieser einen Formulierung abgegrenzt. Es ist nicht auszuschließen, dass der Dichter der Bergerette Guillaume Dufay geheissen hat.

Lorenz Welker: Bläserensembles der Renaissance
Der berühmte Triumphzug Kaiser Maximilians, entstanden um 1518, gibt mit seiner realistischen Darstellung der zeitgenössischen Blasinstrumente und ihrer Gruppierungen die Möglichkeit, die Situation der Bläserensembles um 1500 zu klären, nach ihrer Herkunft zu fragen und ihr weiteres Schicksal im Laufe des folgenden Jahrhunderts zu erörtern. Dabei kommen grundsätzliche Probleme in der historischen Beurteilung einzelner Instrumente (z.B. Zugtrompete/Posaune) und der Verwendung der Bläser (etwa das Auftreten in der Kirche) zur Sprache.

Andrea Francalanci: The Copia di M° Giorgio e del Guideo di ballare basse danze e balletti
Die mit der Bezeichnung "Giorgios Abschrift" (oder - für Tanzhistoriker - einfach "Giorgio") versehene Handschrift, die das Tanzbuch des Guglielmo Ebreo enthält, wird in der Public Library in New York aufbewahrt. Sie gehört zu einer Gruppe von 12 Manuskripten, die die Hauptquellen zur Erforschung der Ursprünge des frühen Hoftanzes darstellen. Sie ist das beste überlieferte Beispiel für die Entwicklungen, die die Tanzkunst im 15. Jahrhundert in Blick auf Technik und Form durchmachte. Die vorliegende Edition verfolgt den Zweck, dem Leser die Möglichkeit zu geben, selbst einen Text zu interpretieren, der trotz des Fehlens jeglicher musikalischer Notation für das Studium und die Aufführungspraxis von Musik und Choreographie des italienischen 15. Jahrhunderts grundlegend ist. 

Eugen Dombois / Véronique Daniels: Die Temporelationen im Ballo des Quattrocento
Der Tanzmeister Domenico da Piacenza hat anscheinend einen raffinierten "Rätselkanon" geschaffen, ohne seine Absicht bekanntzugeben. Mit Hilfe pythagoreischer Wertmassstäbe lässt sich der Beweis führen, dass die Proportionsfolge B:Q:S:P=6:4:3:2 für die Mensur-Beziehungen innerhalb des Ballo des Rätsels Lösung ist. Die von Domenico vordergründig eingeführte und bisher im allgemeinen unkritisch akzeptierte Proportionsfolge B:Q:S:P=6:5:4:3 weist u.a. auf eine aussermusikalische Dimension der Tanzpraxis hin und ist möglicherweise von der spannungsreichen Beziehung zwischen Rhythmus und Metrum inspiriert. Die erwähnte Proportion kann jedenfalls keine ästhetisch-praktische Realität haben, bildet aber offenbar die Basis für ein jeu d'esprit, dessen Ausdrucksform, wenn nicht für die künstlerischen Werke des 15. Jahrhunderts überhaupt, so doch zumindest für die der Tanzmeister-Zunft des Quattrocento charakteristisch zu sein scheint.

Rita Steblin: Der Tod als Fiedler
In der bildlichen und literarischen Totentanz-Tradition des Spätmittelalters war der Tod ein Pfeifer. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts und bis ins späte 20. Jahrhundert erscheint der Tod (oder sein Alter Ego, der Teufel) gewöhnlich als Fiedler. Warum? Die Antwort ergibt sich aus der engen Verknüpfung, die die religiösen Autoritäten des 15. Jahrhunderts zwischen Tanz und Tod vornahmen. Die übliche Warnung lautete: "Wo Tanz ist, da ist der Teufel." Nachdem die Violine gegen 1550 ihre endgültige Form erhalten und die Flöte als das bevorzugte Instrument zur Begleitung von Tänzen abgelöst hatte, wurde sie auch zum Lieblings-Instrument des Todes. Dies spiegelt sich sowohl im Volksbräuchen wie auch in der Literatur und inspirierte so grosse Maler und Komponisten wie Rethel, Böcklin, Mahler und Stravinsky.

II. SCHRIFTENVERZEICHNIS ZUM ARBEITSBEREICH HISTORISCHER MUSIKPRAXIS 1988/89, ZUSAMMENGESTELLT VON DAGMAR HOFFMANN-AXTHELM