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Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 29 (2005)

Musikinstrumente und instrumentale Praxis um 1500

Dagmar Hoffmann-Axthelm (Hg.)

  • Serie
    Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis
  • Band
    29
  • Ort
    Winterthur
  • Publisher
    Amadeus
  • Year
    2007
  • ISBN
    978-3-905786-01-9
  • Type
    Book

I. MUSIKINSTRUMENTE UND INSTRUMENTALE PRAXIS UM 1500

Dagmar Hoffmann-Axthelm: Bildbetrachtung. Matthias Grünewald. Das "Engelskonzert" vom Isenheimer Altar (vor 1516 vollendet)

Keith Polk: Instrumental music ca 1500: performers, makers, and musical instruments ca. 1500-1530
Dieser Beitrag beleuchtet die der Veränderung der Musikinstrumente zugrunde liegenden Impulse. Diese sind zum einen eng mit dem musikalischen Stilwandel verknüpft. Zu den wichtigsten Veränderungen gehört ein neuer Umgang mit der musikalischen Gestaltung, die eine Entwicklung hin zur Durchimitation und dem Streben nach einem tieferen Bass beinhalten. Ferner veränderte sich gemäss dem musikalischen Kontext auch der Geschmack; beispielsweise begann man in der geistlichen Musik, die Gesangsstimmen durchgehend mit Instrumenten zu verdoppeln. Trotzdem behielt man einige traditionelle Eigenheiten bei. So mussten alle professionellen Spieler in der Lage sein, über einen Cantus firmus zu improvisieren. Schliesslich werden die Spannungen zwischen Kontinuität und Wandel untersucht, indem besonders hervorgehoben wird, wie sich neue Entwicklungen in wechselwirksamen Beziehung zwischen Musikern und Instrumentenbauern anbahnten.

Rodolfo Baroncini: Die frühe Violine - Form und Bauprinzipien. Zwei ikonographische Quellen aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts
Das Heranziehen von Bildern zur Erforschung der Physiognomie der Violine in den ersten Phasen ihrer Entwicklung ist eine Methode, die vor einigen Jahrzehnten von einigen hochrangigen Forschern wie Emanuel Winternitz und David Boyden sinnvoll und gewinnbringend eingeführt wurde. Im Schaffen des Malers Gaudenzio Ferrari identifizierte Winternitz einige die wesentlichen Eigenschaften der Geige. Neue ikonographische Funde aus derselben Zeit lassen jedoch auf die Präsenz viel fortschrittlicherer Modelle schliessen. Insbesondere zwei Intarsien aus der Kirche San Giovanni Evangelista in Parma bzw. aus der Abtei von Finalpia (Savona) zeigen, dass die Violine ihre charakteristische Form bereits um 1530 angenommen hatte.

Peter Holman: What did Violin consorts play in the early sixteenth century?
Die Erforschung der Frühgeschichte der Violine hat sich traditionsgemäss auf die Form des Korpus konzentriert, wie sie durch Gemälde des frühen 16. Jahrhunderts und durch die wenigen erhaltenen Instrumente überliefert ist. In diesem Beitrag vertrete ich die Auffassung, dass wir über die Frühgeschichte der Violine mehr lernen können, wenn wir ganz andere Fragen stellen, wie z.B.: Warum wurde sie erfunden? Wer spielte sie? Und, vielleicht am wichtigsten, welche Musik wurde auf ihr gespielt? Ich vertrete den Standpunkt, dass das Geigen-Konsort in Norditalien in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde, um eine Alternative zu den Blasinstrumenten für den Hoftanz zu liefern und dass seine Schaffung mit der Entwicklung eines neuen Typs von komponierter Tanzmusik aus dem frühen 16. Jahrhundert einher ging, bei dem die Melodie im Sopran liegt. Dieser löste den alten, mit der Alta capella verbundenen Typus improvisierter Tanzmusik ab.

Thomas Drescher: Protoformen der Violine zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Italien. Zum Versuch einer Rekonstruktion
Die früheste Geschichte der Violine kurz nach 1500 gewinnt durch neue ikonographische Funde und Neu-Interpretationen bereits bekannter Darstellungen zunehmend an Kontur. Gemeinsamkeiten im Äusseren der abgebildeten Instrumente verweisen auf Bautraditionen, die sich wesentlich von den jüngeren italienischen Modellen unterscheiden, die aus Brescia und Cremona überliefert sind. Die Verwandtschaft mit der Lira da braccio führt zur Hypothese, dass die frühe Violine zunächst die musikalische Funktion des Rebec weiterführt als eine Art Lira für ein gemischtes Ensemble. Die experimentierfreudige Hofkultur der d’Este in Ferrara spielte möglicherweise auch hier eine wichtige Rolle in der Entwicklung. Die Schola Cantorum Basiliensis hat zusammen mit dem Instrumentenbauer Richard Earle 2002 eine solche „Proto-Violine“ rekonstruiert, aus der erste Erfahrungen zur Handhabung und zum Klang gewonnen werden können.

Wolfgang Wenke: Die Rekonstruktion eines Unikats. Die frühe Tenor / Bass-Viola da Gamba vom Isenheimer Altar
Eines der bekanntesten Kunstwerke im Museum Unterlinden in Colmar ist der Isenheimer Altar. Die Bildtafeln für diesen spätgotischen Flügel-Hochaltar schuf 1512 bis 1515 Mathias Grünewald (1475 – 1528); sie beinhalten auch die Darstellung von Engeln mit merkwürdig geformten, sonst nirgendwo überlieferten Streichinstrumenten. Im Vordergrund einer Weihnachts-Darstellung sitzt ein Bass-Viola da gamba spielender Engel, dessen Instrument sehr grafisch gemalt - fast wie gezeichnet und mit allen Feinheiten versehen ist. Es weist einige ungewöhnliche, aber von anderen Instrumenten bekannte Details auf, und die verwendeten Materialien sind ziemlich eindeutig zu erkennen. Für den Restaurator und instrumentenkundlich Interessierten war die Rekonstruktion dieses Instruments - die ja der Schaffung eines bislang nicht überlieferten, gleichwohl realen Objektes mit mehrheitlich unbekannten technischen Details gleichkam - eine sehr reizvolle Aufgabe und grosse Herausforderung. So konnte ein Nachbau entstehen, der dem Instrument auf dem Gemälde optisch sehr nahe kommt.

Pier Paolo Donati: Neue Beobachtungen zur Charakteristik der italienischen Tasteninstrumente um 1500. Zwei ikonographische Dokumente aus der Zeit zwischen 1490 und 1510
In der Geschichte des Cembalos bleiben einige Aspekte der Entwicklung der Tastaturumfänge in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ungeklärt. Dieser Umstand hängt mit dem Mangel an dokumentarischen Funden und ikonographischen Quellen zusammen. Im Gegensatz dazu steht jedoch seit geraumer Zeit eine reichhaltige Dokumentation über die Merkmale und Umfänge der Orgeltastaturen zur Verfügung. Der Artikel umreisst die Entwicklung der Tastaturen dieser Instrumente von etwa 1470 bis 1500, wobei auch Berührungspunkte zu denen der italienischen Clavichorde, Virginale und Cembali aufgedeckt werden. Es scheint sich zu bestätigen, dass am Vorabend des Auftretens der ersten Musikdrucke die Tastaturumfänge der Cembali und der Orgeln viele Gemeinsamkeiten aufwiesen. Tatsächlich kann ein grosser Teil der gedruckten oder handschriftlich überlieferten Kompositionen aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jh. auf beiden Instrumentengattungen ausgeführt werden.

Franz Körndle: Usus organorum, & horum sonus. Anmerkungen zum Gebrauch der Kirchenorgel um 1500
Während des 15. Jahrhunderts hat sich die grosse Orgel rasch in ganz Europa verbreitet. In annähernd jeder grösseren Stifts- oder Klosterkirche konnte man bereits um 1500 ein oder oft sogar zwei Instrumente antreffen. Die unlängst restaurierte Orgel in Ostönnen bei Soest von etwa 1430 lässt anhand von Spuren eine Umgestaltung um 1500 erkennen, so dass wir gute Informationen zur Technik und handwerklichen Qualität des Instrumentenbaus erhalten. Über die Verwendung der Orgeln im Gottesdienst geben kirchliche Dokumente Auskunft. Es zeigt sich, dass neben der traditionellen Alternatim-Praxis liturgischer Musik häufig weltliche Musik – vielfach vor allem bei Prozessionen – gespielt wurde.

Adam Knight Gilbert: The improvising Alta capella ca 1500. Paradigms and procedures
Dieser Beitrag untersucht die Improvisationspraxis des Alta capella-Ensembles in den entscheidenden Jahren um 1500. Obgleich es unmöglich ist, historische Improvisation zu kopieren, kann man doch auf der Basis von rhythmischen und motivischen Mustern die praxisspezifische Improvisation wiederbeleben. Versteht man die enge Verbindung zwischen den Instrumenten und der komponierten Mehrstimmigkeit über das ganze Jahrhundert hinweg sowie die Unabhängigkeit zwischen Konsonanz und Kontrapunkt, dann ergeben sich daraus Einsichten, die eine heutige Rekonstruktion zwei-, drei- und vierstimmiger kontrapunktischer Improvisation ermöglichen. Der vierstimmige Kontrapunkt basierte oft auf einer dreistimmigen Struktur mit dem Altus als Füllstimme. Die Spieler folgten den Funktionen ihrer jeweiligen Stimme, wobei sie wahrscheinlich das Konzept von Stimm-Paaren anwandten. Mit dem Aufkommen des durchimitierten Satzes wurden diese vierstimmigen kontrapunktischen Funktionen in Generalbass-Fortschreitungen gefasst.

Nancy Hadden: From Swiss flutes to consort: the flute in Germany ca 1500-1530
Die Traversflöte gehört im 15. Jahrhundert nicht zum gängigen Instrumentarium. Von etwa 1475 an erscheint die Flöte als Militärinstrument in Verbindung mit der Feldtrommel wieder, wobei sie vollständig in die disziplinierten und gut ausgebildeten Schweizer Infanteriegeschwader eingebunden ist. Nie tritt die Flöte als Teil eines Ensembles in Erscheinung und es werden auch keine unterschiedlichen Grössen von Flöten entwickelt, was eine Konsortbildung ermöglicht hätte. Von welcher Art war diese Schweizer Querpfeife, welche Musik spielte man darauf und wie? Wann und wo entwickelte sich die Flöte zum Konsortinstrument? Wann schliesslich kam das Konsort auf, welche Musik wurde gespielt? Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten, aber dieser Artikel ist ein Versuch, das archivarische und anderes Material zu nutzen, um eine Vorstellung vom Flötenspiel im deutschsprachigen Raum während des dunklen Zeitraums von etwa 1500 bis 1529 zu vermitteln.

Timothy McGee: Florentine instrumentalists and their Repertory ca 1500
Es ist offensichtlich, dass während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Florenz wie in anderen italienischen Städten die Nachfrage nach Instrumentalisten im Bereich des häuslichen Musizierens stetig anstieg. Wir kennen die Namen vieler Musiker sowie die Instrumente, die sie spielten und eine Vielzahl von Anlässen, bei denen sie auftraten. Was weniger bekannt ist, ist die Art, in der bei solchen Gelegenheiten die Instrumentalisten an Aufführungen teilnahmen und was für Musik sie spielten. Eine nähere Untersuchung von Archivdokumenten, anekdotischen Erzählungen, ikonographischen Quellen und Musikhandschriften führt zu Überlegungen, welche Instrumente und Instrumentalisten als wahrscheinlich anzunehmen sind und welches Repertoire gespielt wurde.

David Fallows: Josquin and popular song melodies
Während sich die Tradition der formes fixes in den letzten Jahren vor 1500 aufzulösen begann, entstanden eine Reihe neuer Gattungen. Darunter war eine Liedform, die volkstümliche Melodien mit polyphonen Stimmen umspielte. Die Frage, ob diese vorgegebenen Melodien gesungen oder instrumental ausgeführt wurden, stellte sich mir erneut, als ich die Herausgabe von Josquins vierstimmiger weltlicher Musik für die New Josquin Edition (Utrecht 2005) vorbereitete. Ein bemerkenswert hoher Anteil dieser Werke besteht aus Vertonungen populärer Melodien. Es mag zwar unmöglich sein, hieb- und stichfeste Beweise dafür zu liefern, dass diese als rein instrumentale Werke konzipiert worden sind, aber man kann Überlegungen anstellen, die  eben dies als wahrscheinlich erscheinen lassen.

Vladimir Ivanoff: Europäische und nahöstliche Instrumente und Instrumentalpraxis um 1500 im Spiegel von Reiseberichten 
Von der Eroberung Konstantinopels (1453) bis zur Belagerung Wiens (1523) war der unerhörte Siegeszug der Osmanen auch ein Spiegel für die Ohnmacht und innere Zerrissenheit Europas, woraus eine intensive und äusserst komplex verlaufende Selbstverständigung erwuchs. Die Suche nach einer europäisch-christlichen Identität setzte sich dabei vor allem mit der Erfahrung des Anderen, nun stärker denn je als fremd empfundenen, auseinander. Dabei war auch die oberflächlich „unschuldig“ scheinende Auseinandersetzung mit Musikinstrumenten und Instrumentalpraxis im Osmanischen Reich komplexen Strategien unterworfen. Zum ersten Mal wurden in der europäischen Schilderung des Orients bewusst jene Eigenschaften betont, in denen sich der „Orient“ vom „Okzident“ unterschied und durch die jener unwiederbringlich als „andersartig“ ausgegrenzt wurde.

II. BIBLIOGRAPHIE DER NEUERSCHEINUNGEN ZUR HISTORISCHEN MUSIKPRAXIS 2003/04 ZUSAMMENGESTELLT VON DAGMAR HOFFMANN-AXTHELM