Book

Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 28 (2004)

Französische Musik im europäischen Kontext

Dagmar Hoffmann-Axthelm (Hg.)

  • Serie
    Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis
  • Band
    28
  • Ort
    Winterthur
  • Publisher
    Amadeus
  • Year
    2006
  • ISBN
    978-3-905049-99-2
  • Type
    Book

I. FRANZÖSISCHE MUSIK IM EUROPÄISCHEN KONTEXT

Als Vorwort eine Bildbetrachtung:

Jean Garnier, Portrait Ludwigs XIV., umgeben von Attributen der Künste und Wissenschaften (1672). Von Dagmar Hoffmann-Axthelm

Wulf Arlt: Frankreich als Impuls
Der einführende Vortrag akzentuiert Aspekte einer Auseinandersetzung mit der französischen Musik: einerseits im Blick auf die Situation des deutschsprachigen Bereichs von der Mitte des 17. bis ins 18. Jahrhundert; andererseits hinsichtlich einer historisch orientierten Praxis unserer Tage. Angesprochen sind Fragen des Komponierens im Spannungsfeld europäischer Horizonte der Musik jener Zeit, die zeitgleiche Wahrnehmung wie Konsequenzen der Rezeption, Aufgaben einer vertiefenden Interpretation unter dem Gesichtspunkt der neueren Diskussion zu Fragen eines Kulturtransfers und nicht zuletzt Chancen und Grenzen der Auseinandersetzung mit den spezifischen Momenten französischer Musik des siècle classique in der heutigen Situation der Aufführungspraxis.

Vincent Robin: Hautbois und cromorne im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts. Versuch einer terminologischen Bestimmung
Der Begriff hautbois bezeichnet ein Rohrblattinstrument, ohne jedoch eine genauere Differenzierung innerhalb der grossen Anzahl unterschiedlicher Modelle dieses Instrumententyps zu erlauben. Der Begriff Krummhorn seinerseits verweist auf einen strukturell ganz anderen Instrumententyp, dessen Blütezeit in der Renaissance liegt. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wird in Frankreich der bereits als Orgelregister präsente Begriff cromorne auch zur Bezeichnung eines Oboenmodells, also eines grundsätzlich anderen Instruments als das Krummhorn, verwendet. In einem Dokument von 1651 ist von den cromornes als neue Erfindung die Rede. Die einzige einigermassen einschneidende Neuerung aus dieser Zeit ist das Konstruktionsprinzip eines neuen Oboentyps, der sich – im Gegensatz zum alten, aus einem einzigen Stück Holz gebohrten Modell – aus mehreren Teilen zusammensetzt. Sehr wahrscheinlich wurde also damals der Begriff cromorne zur Bezeichnung dieser neuen Instrumentenfamilie verwendet. Dennoch wird der alte Begriff hautbois die Benennung cromorne bald wieder verdrängen, mit Ausnahme der tiefen Instrumente, wo er zur Unterscheidung vom neuen Fagott dient. Trotz der Konkurrenz durch letzteres wie auch durch den Kontrabass, ist der basse de cromorne bzw. contre-basse de hautbois in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch präsent. Bald darauf wird jedoch der Begriff cromorne erneut nur noch für ein Orgelregister verwendet, was vom Verschwinden des letzten unter diesem Namen bekannten Instruments zeugt. 

Peter Downey: Kontinuität und Wandel in der Musik für die Trompettes du Roy um 1700
In diesem Artikel wird die Verwendung der Trompete im Frankreich des späten 17. Jahrhunderts einerseits bei den traditionellen militärischen und zeremoniellen Aktivitäten der Grand Écurie dargestellt und andererseits ihre neu entstehende repräsentative Rolle im Orchester Lullys nachgezeichnet. Es werden mögliche Verbindungen zu spätmittelalterlichen Traditionen erkundet und Wandlungen der musikalischen Aufgaben dargestellt. Im Rahmen des Repertoires, das mit dem zunehmenden Engagement für Kunstmusik einherging, werden Veränderungen und Ergänzungen aufgezeigt. Ferner finden die Rolle der Innovationskraft im französischen Trompetenstil und die Tragweite der Beiträge von Lully, Philidor und anderen Komponisten eine Einschätzung. Die Folgen von Kontinuität und Wandel in der Ausprägung eines erkennbar französischen Trompeten-Idioms wird im Hinblick auf seine Rezeption im übrigen Europa erforscht. 

Catherine Massip: Der französische Gesang um 1700
Abgesehen von der Oper ist die Situation der französischen Vokalmusik um 1700 nur durch wenige und sehr verschiedenartige Quellen dokumentiert. Der Artikel gibt einen Überblick über die verschiedenen Aspekte des Themas mit besonderem Augenmerk auf die Rezeption ausserhalb Frankreichs. Der Grossteil der geistlichen Musik wurde nicht gedruckt und entfaltete kaum Wirkung ausserhalb des unmittelbaren Aufführungskontexts am Hof. Dagegen bilden die ein- und mehrstimmigen weltlichen Airs den Hauptteil der verlegerischen Tätigkeit, insbesondere Ballards. Im Gegensatz zur Instrumentalmusik (etwa eines Fischer, Muffat oder Steffani) finden sich dabei aber kaum nicht-französische Komponisten. Im Rahmen der kunsttheoretischen Diskussion lassen sich viele aufschlussreiche Hinweise aus den diversen vergleichenden Darstellungen französischer und italienischer Musik gewinnen. Ferner werden Aspekte der handschriftlichen Überlieferung ausserhalb Frankreichs diskutiert. Für die gedruckte Überlieferung wird eine Übersicht gegeben, gegliedert nach (a) Präsenz französischer Komponisten in ausländischen Drucken, (b) ausländischen Neuauflagen französischer Originaldrucke sowie (c) Präsenz französischer Drucke in ausländischen Bibliotheken. Abschliessend wird ein Blick auf die französische Musikgeschichtsschreibung und die wichtigsten Gesangstraktate geworfen.

David Ledbetter: Les gouts réunis und die Musik von J.S. Bach
Dies ist Teil einer grösseren Untersuchung über Stil und Gattung im Rahmen der solistischen Instrumentalmusik von J.S. Bach sowie der Konsequenzen im Hinblick auf die Aufführungspraxis. Z.Zt. gibt es im englischen Sprachbereich sehr wenig Unterrichtsmaterial zu dieser Thematik. Ich beginne damit, einige elementare Kriterien zu erstellen, die ich von der von Georg Muffat aufgezeigten Stilmischung in den Werken Corellis ableite. Dann untersuche ich die weitaus komplexeren Stilmischungen bei François Couperin, um so eine Bestimmung für Bachs Nutzung von Elementen des französischen Tanzes und der italienischen Sonate in Werken um 1720 zu finden.

Dominik Sackmann: „Französischer Schaum und deutsches Grundelement“ Französisches in Bachs Musik
Bachs Rezeption des französischen Stils wird immer wieder biografisch mit seiner im Nekrolog von 1754 geschilderten Begegnung mit französischer Ensemblemusik am Hof von Celle während seiner Schulzeit in Lüneburg (1700–1702) begründet. Die französische Musik spielte an den welfischen Höfen um 1700 jedoch eine untergeordnete Rolle. Die Erwähnung von Bachs früher Bekanntschaft mit französischer Musik in Celle dient im Nekrolog der Vorbereitung und Begründung seines Sieges im Wettstreit mit Louis Marchand in Dresden (1717). Bachs Werke weisen kaum Spuren einer direkten Auseinandersetzung mit der französischen Musik auf; indirekt zeigt sie sich aber in seinen deutscher Ensembleouvertüren und Claviersuiten, in die bereits gewisse Stilelemente der Lully-Generation eingegangen waren. Bachs Beschäftigung mit französischer Musik (Lebègue, Marais, de Grigny) hat sich wohl hauptsächlich in harmonischen Eigenheiten des Bach’schen Komponierens niedergeschlagen. Um dies zu überprüfen, wäre eine umfassende Darstellung von Bachs Harmonik Voraussetzung.

Michele Calella: Graun, Telemann und die Rezeption des französischen Rezitativs
Der Briefwechsel zwischen Carl Heinrich Graun und Georg Philipp Telemann aus den Jahren 1751-1752 ist eines der interessantesten Dokumente der deutschen Musikästhetik des 18. Jahrhunderts und für die Rezeption des französischen Rezitativs in Deutschland bezeichnend. Im Zentrum der Diskussion stehen einige Stellen aus Rameaus Castor et Pollux, die von Graun als „unvernünftig“ verurteilt werden und für die er alternative, angeblich korrekte Fassungen anbietet. Diese „Neuvertonungen“ und die dadurch ausgelösten Reaktionen Telemanns zeigen einige interessante Aspekte im Umgang mit dem französischen Rezitativ, das in den von der Kultur der italienischen Vokalmusik geprägten deutschsprachigen Ländern lediglich auf der Basis gedruckter Partituren rezipiert wurde.

Jérôme de la Gorce: Ein französisch inspiriertes Schaustück, 1701 am schwedischen Hof aufgeführt. Das „Ballet mis en musique“ von Andreas Düben
Der Einfluss Frankreichs und im besonderen Lullys auf das „Ballet“, das 1701 in Stockholm zur Feier des Sieges von Narva aufgeführt wurde, ist bisher noch nicht im Detail untersucht worden. Anhand konkreter Beispiele aus zeitgenössischen Dramen und Opern wird das Vorgehen der Autoren des Balletts besser fassbar, und Modelle, an denen sie sich orientiert haben, können ausgemacht werden: Sevignys Libretto ist durch Monsieur de Pourceaugnac, den Carnaval von 1675 und die Libretti der Opern Alceste, Thésée, Isis und Bellérophon inspiriert, während Dübens Musik Verwandtschaft zu George Dandin und Cadmus et Hermione aufweist.

Rudolf Rasch: Lully und Corelli auf dem batavischen Parnass
Die Musik Lullys wurde durch die Aufführung seiner Opern in Den Haag und Amsterdam, die Herausgabe der Noten und die Benutzung von Melodien für Lieder und Claviermusik in der Holländischen Republik während des letzten Drittels des siebzehnten Jahrhunderts ausserordentlich bekannt. Besonders die Teilausgaben von Opern-Nummern – sei es für Streicher oder für generalbassbegleiteten Gesang – sind in der Zeit zwischen 1680-1710 auffallend. Nach 1700 jedoch werden die Werke Lullys auf dem holländischen Musikmarkt durch den Aufstieg Arcangelo Corellis verdrängt, dessen Musik vor allem durch die Ausgaben des Amsterdamer Verlegers Estienne Roger weite Verbreitung fand, und dies nicht nur in den Niederlanden, sondern im ganzen transalpinen Europa. In der Vokalmusik blieb die französische Musik jedoch das ganze 18. Jahrhundert hindurch führend.

Margit Legler und Reinhold Kubik: Les poses et les attitudes. Frankreichs Beitrag zur europäischen Schauspielkunst um 1700
Die italienischen Gestik-Traktate haben als einzige einen direkten Bezug zur Theaterpraxis und auch zum Musiktheater. In England sind vor allem die Arbeiten von John Bulwer zu erwähnen, die sich mit der Cheironomie beschäftigen. In den französischen Traktaten ist die Gestik lediglich ein Element der kunstvollen Textdeklamation. Die Darstellung der Affekte beschränkt sich nach dieser Sichtweise aber nicht nur auf den Gesichtsausdruck, sondern umfasst den ganzen Körper, und in der Malerei auch die Farbgebung und die Komposition eines Bildes. Im Aufsatz wird ferner die Wirkung dieses französischen Ausdruck-Verständnisses auf das übrige Europa dargestellt. 

Joachim Steinheuer: Vermischter Geschmack all’italien. Antonio Vivaldis La senna festeggiante
Vivaldis serenata wurde vermutlich für eine feierliche Aufführung des französischen Botschafters bei der Republik Venedig geschrieben, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Thronbesteigung von Louis XV. Die Partitur ist ungeachtet des panegyrischen, wenig affektgeladenen Sujets von ausserordentlichem musikalischem Reichtum; das sicherlich überraschendste Merkmal liegt in einer sehr vielgestaltigen, bewussten Auseinandersetzung mit zeitgenössischer französischer Musik, und zwar gleichermassen hinsichtlich der verwendeten Form- und Satzmodelle wie auch des besonderen kompositorischen Gestus einzelner Passagen; dabei geht es in fast allen Fällen nicht um eine Stilkopie, sondern es entsteht eine Synthese italienischer und französischer Elemente aus Vivaldis ganz eigener Perspektive. 

Olivier Millet: Sprache als Idee. Die französische Sprache als zivilisatorisches Phänomen im französischen Klassizismus
Der internationale Erfolg der französischen Sprache als „klassische Sprache“ im 17. und 18. Jahrhundert wird hier unter dem Gesichtspunkt ihrer internen, französischen soziokulturellen Entstehungsbedingungen betrachtet. Diese Sprache ist viel weniger das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung als die „Erfindung“ durch neue Eliten, deren Bedürfnissen und Geschmack sie entspricht. Sie fühlt sich keiner Literatur- und Kulturtradition verpflichtet, sondern konstituiert sich spontan im gemeinsamen Einverständnis zwischen den Beobachtern des soziologisch elitären bon usage, dem sogenannten Publikum, das sich für seinen eigenen Sprachgebrauch leidenschaftlich interessiert, und den zeitgenössischen Schriftstellern, die behaupten, so zu schreiben wie man spricht. Kultursprache ist die Konversationssprache.

II. BIBLIOGRAPHIE DER NEUERSCHEINUNGEN ZUR HISTORISCHEN MUSIKPRAXIS 2002/2003, ZUSAMMENGESTELLT VON DAGMAR HOFFMANN-AXTHELM