VON DER PILGERSCHAFT (Rainer Maria Rilke)
In diesem Dorfe steht das letzte Haus
so einsam wie das letzte Haus der Welt.
Die Straße, die das kleine Dorf nicht hält,
geht langsam weiter in die Nacht hinaus.
Das kleine Dorf ist nur ein Übergang
zwischen zwei Weiten, ahnungsvoll und bang,
ein Weg an Häusern hin statt eines Stegs.
Und die das Dorf verlassen, wandern lang,
und viele sterben vielleicht unterwegs.
Manchmal steht einer auf beim Abendbrot
und geht hinaus und geht und geht und geht,
weil eine Kirche wo im Osten steht.
Und seine Kinder segnen ihn wie tot.
Und einer, welcher stirbt in seinem Haus,
bleibt drinnen wohnen, bleibt in Tisch und Glas,
so dass die Kinder in die Welt hinaus
zu jener Kirche ziehn, die er vergaß.
Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei’s
dass einer stirbt und sie ihn weitertragen,
sei es dass wer auf heimliches Geheiß
den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen,
um in der Fremde nach dem Weg zu fragen,
auf welchem er dich warten weiß.
Die Straßen werden derer niemals leer,
die zu dir wollen wie zu jener Rose,
die alle tausend Jahre einmal blüht.
Viel dunkles Volk und beinah Namenlose,
und wenn sie dich erreichen, sind sie müd.
Aber ich habe ihren Zug gesehn;
und glaube seither, dass die Winde wehn
aus ihren Mänteln, welche sich bewegen,
und stille sind wenn sie sich niederlegen -:
so groß war in den Ebenen ihr Gehen.
VOM MÖNCHISCHEN LEBEN (Rainer Maria Rilke)
Alle, die ihre Hände regen
nicht in der Zeit, der armen Stadt,
alle, die sie an Leises legen,
an eine Stelle, fern den Wegen,
die kaum noch einen Namen hat, -
sprechen dich aus, du Alltagssegen,
und sagen sanft auf einem Blatt:
Es gibt im Grunde nur Gebete,
so sind die Hände uns geweiht,
daß sie nichts schufen, was nicht flehte;
ob einer malte oder mähte,
schon aus dem Ringen der Geräte
entfaltete sich Frömmigkeit.
Die Zeit ist eine vielgestalte.
Wir hören manchmal von der Zeit,
und tun das Ewige und Alte;
wir wissen, daß uns Gott umwallte
groß wie ein Bart und wie ein Kleid.
Wir sind wie Adern im Basalte
in Gottes harter Herrlichkeit.
Ich finde dich in allen diesen Dingen,
denen ich gut und wie ein Bruder bin;
als Samen sonnst du dich in den geringen
und in den großen gibst du groß dich hin.
Das ist das wundersame Spiel der Kräfte,
daß sie so dienend durch die Dinge gehn:
in Wurzeln wachsend, schwindend in die Schäfte
und in den Wipfeln wie ein Aufersteh.
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen -:
Dann könnte ich in einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.
KLEINE KANTATE (Han Coray)
Unwandelbar von Anbeginn der Tage
Ist unser Weg bestimmt,
Freude und Klage durch ein Gebot
Geheimnisvoller Sterne,
das sich erfüllen muss.
Tief innerste Not der ringenden Seele
kann keine Liebe von uns wenden.
Wunderbar muss alles Leben sich vollenden,
wie Blumen und die Bahn der Sterne.
Wenn es Nacht wird und der Raum
sich um mich weitet wie ein Dom
Und alle Dinge, die am Tag
so anspruchsvoll und laut sind schweigen,
Lieg ich wach und sinne nach.
Mein Leben flutet ungebändigt
wie ein uferloser Strom
dem dunklen Meere zu.
Ich will mich still verneigen,
und glauben, wo ich nicht versteh,
Dass es zum guten Ziele geh!
Das Leben währt nur kurze Zeit,
Wohl uns, wenn wir zum Weg bereit,
Der Tod will uns entführen.
Der Tod schleicht leise um das Haus,
das Leben lacht zum Fenster raus,
und riegelt alle Türen.
Noch eh wir unser Heil bedacht,
vergeht der Tag und kommt die Nacht.
Wir müssen sehr leise
durchs Leben gehen,
und Lauschen,
dass wir die Weise,
deren Rauschen
aus fernen Welten
zu uns dringt verstehn,
Eh sie verklingt.
Und wir als Pfad verlorne,
ins Elend geborne
Landfahrer streichen,
und die Heimat nie erreichen.
Wir lieben, weil Gott unser Herr gesegnet,
Wir lieben, wie eine Wolke, die leise regnet,
Wir lieben, wo Leid uns am Wege begegnet,
das auf banger Flucht, und ohne Liebe sucht.
Unser Liebe ist nicht Echo, sie ist Ruf,
Der im Weltall irgendwo
stille verklingend gutes schuf.
Das Leben ist das seligste Entzücken,
In jedem Atemzug ist Gott uns nah;
Wir wandeln über traumgewob[e]ne Brücken,
schaun Seligkeiten, die kein Engel sah.
Wir würzeln tief, wie Bäume in der Erden
und jeder Stein am Weg ist uns bekannt,
das Ohr vernimmt der Schöpfung werden
und rings um uns ist heil’ges Land.
Wenn Freunde fallen rings um mich her,
wie Gras im Mai,
tröstet mich, dass Gott es sei,
der sie mäht.
Und alles wieder aufersteht
zum neuen Leben.
Gott woll uns allen Gnade geben.
O Herr, wollest uns die Gnade geben
Der mühevollen Saat, der schweren Tat,
in diesem Leben. Amen.
VIER CANTUS PRO TEMPORE PASSIONIS
Omnes amici mei dereliquerunt me,
Et praevalerunt insidiantes mihi:
Adidit me quem diligebam:
Et terribilibus oculis
plaga crudelis percutientes
aceto portabant me
Inter uniquos proiecerunt me,
et non pepercerunt anima meae.
Omnes amici mei dereliquerunt me
tradidit me quem diligebam.
Parce Domine, parce populo tuo
ne in aeternum irascaris nobis.
Vere languores nostros ipse tulit
Et dolores nostros ipse portavit,
Alleluja!
Deus, Deus meus, ad te de luce vigilo:
et in nomine tui levabo manus meas.
Alleluja!
FÜNF GEISTLICHE CHORLIEDER (Angelus Silesius)
Jetzt wird die Welt recht neugebor’n,
Jetzt ist die schöne Zeit,
Jetzt tauet auf, was war erfror’n,
Und durch den Fall verschneit.
Jetzt sausen die Winde
Erquicklich und linde,
Jetzt singen die Lüfte,
Jetzt tönen die Grüfte,
Jetzt hüpft und springet Berg und Tal.
Jetzt ist der Himmel aufgetan,
Jetzt hat er wahres Licht.
Jetzt schauet uns Gott wieder an
Mit gnäd’gem Angesicht.
Jetzt scheinet die Sonne
Der ewigen Wonne,
Jetzt lachen die Felder,
Jetzt jauchzen die Wälder,
Jetzt ist man voller Fröhlichkeit.
Jetzt ist die Welt voll Herrlichkeit
Und voller Ruhm und Preis,
Jetzt ist die wahre güldne Zeit
Wie vor im Paradeis:
Drum lasset uns singen
Mit Jauchzen und Klingen,
Frohlocken und Freuen,
Ertönen und Schreien:
Gott in der Höh’ sei Lob und Ehr’!
Mir nach! spricht Christus, unser Held,
Mir nach, ihr Christen alle!
Verläugnet euch, verlaßt die Welt,
Folgt meinem Ruf und Schalle;
Nehmt euer Kreuz und Ungemach
Auf euch, folgt meinem Wandel nach.
Ich bin das Licht, ich leucht’ euch für
Mit heil’gem Tugendleben:
Wer zu mir kömmt und folget mir
Darf nicht im Finstern schweben;
Ich bin der Weg, ich weise wohl,
Wie man wahrhaftig wandeln soll.
Fürchte nicht des Sturmes Toben,
Du bist im Geist aufgehoben.
Fürchte nicht Verletzung und Ende.
Dich halten Gottes Hände.
Fürchte dich nicht,
Ich bin bei dir,
Bis an der Welt Ende.
Überall wölbt sich das Himmelsgewölbe.
Überall dringt sich das Morgenlicht,
Überall wachsen Pflanzen aufwärts,
Überall kämpfen Herzen zu Gott.
In Ewigkeit, Amen.
DREI LIEDER NACH TEXTEN VON HAN CORAY
Nur [Erst] der Tod macht wunderbar
Geheimstes Leben offenbar.
O, wär mein Herz ein heiliger Gral,
aufzufangen aller Leiden Qual,
Dass aus einem reinen Glaubens glühn
Wunderblumen rings erblühn.
Wie ist die Liebe so wundersam!
Ein Strom, der seinen Lauf nicht ahnt;
Doch unaufhaltlich [unaufhaltsam]
Einen Weg sich bahnt
zum Meer.
Mag er sich sträuben,
Durch Schluchten und Seen
Zu gehen
Am Fels zu zerstäuben,
Er muss rastenlos eilen,
Darf nirgends verweilen,
Bis seine Flut
Im dunklen Schosse des Meeres ruht.
Die Liebe ist wundersam wie ein Strom;
Wie eine Orgel des Windes im Weltendom.
Das Leben ist das seligste Entzücken.
In jedem Atemzug ist Gott uns nah.
Wir wandeln über traumgewob[e]ne Brücken,
schaun Seligkeiten, die kein Engel sah.
Wir wurzeln tief wie Bäume in der Erden,
Ein jeder Stein am Weg ist uns verwandt,
Das Ohr vernimmt Schöpfung Werden
Und ringsherum [rings um uns] ist heil’ges Land.