Die «Écuries» von Versailles

Veröffentlicht: 01.01.2009     Autor/in: Thilo Hirsch

Forschungsprojekt

La Grande Écurie du Roi

Zitierweise

Thilo Hirsch, "Die «Écuries» von Versailles". Forschungsportal Schola Cantorum Basiliensis, 2009.
https://forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/de/forschung/grande-ecurie/hirsch-ecuries-versailles.html (Abgerufen am TT MM JJJJ)

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Auch wenn Ludwig XIV. noch nicht die Vorzüge von Google Earth geniessen konnte, war ihm durch die Zeichnungen seiner Architekten die aus der Vogelperspektive körperähnliche Form des Château de Versailles sicher bewusst. Wobei die königlichen Gemächer um den Cour de marbre – wie sollte es anders sein – den „Kopf“ bilden, und die beiden hufeisenförmigen Écuries die Füsse bzw. Waden.

Abbildung 2: Nicolas De Poilly (1627-1696), Veüe et perspective de la Grande Écurie du Chasteau de Versailles.
Foto: T. Hirsch.
Abbildung 1: Jean Delagrive (1689-1757), Plan de Versailles, 1746.
Foto: public domain.

Die beiden Écuries de Versailles, die Grande Écurie und die Petite Écurie, wurden nach Plänen Jules Hardouin-Mansart (1646-1708) gebaut und 1682/83 fertiggestellt. Nachdem die Grande Écurie ab Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch als Verwaltungsgebäude genutzt wurde, ist sie heute mit der Académie du spectacle équestre wieder der Pferdedressur und den damit zusammenhängenden Disziplinen gewidmet.

Abbildung 4: Pferdetroika im Tympanon über dem Hauptportal der Grande Écurie.
Foto: T. Hirsch.
Abbildung 3: Hufeisenförmiges Hauptgebäude der Grande Écurie de Versailles.
Foto: T. Hirsch.

Die Beschreibung der historischen Funktion der Écuries soll einem zeitgenössischen Autor überlassen werden, der mit diesen insofern bestens vertraut war, da einerseits schon dessen Grossvater von Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) zum Generalinspekteur des königlichen Gestüts ernannt worden war, [1] und der andererseits selbst – wie auf dem Titelblatt des fraglichen Werkes vermerkt – eine Stelle als „Capitaine en Survivance“ am königlichen Gestüt inne hatte. Es handelt sich um François-Alexandre-Pierre de Garsault, der in seinem Werk Le nouveau parfait Maréchal aus dem Jahr 1741 die Funktion der Écuries folgendermassen beschreibt:

  1. Escurie, Bâtiment destiné pour attacher, y mettre à couvert, & y nourrir les Chevaux. [...] Ecurie signifie aussi non seulement le Bâtiment fait pour les Chevaux, mais encore tout ce qui y a rapport; c'est-à-dire, les logements de tous les Officiers, Palefreniers, &c. Lorsque le tout ne forme qu’une enceinte de Bâtimens: Ainsi, les Ecuries du Roy & des Princes s’entendent dans ce dernier sens. Les Ecuries du Roy de France sont séparées en deux Bâtimens; l’un destiné pour les Chevaux de Manége & de Guerre, & pour les Chevaux de Selle & de Chasse, ce qui s'appelle la grande Ecurie. L'autre Ecurie appellée la petite Ecurie, est faite pour les Chevaux de carosse. Des Officiers des Ecuries, il y en a qui sont communs à la grande & à la petite: Tels sont: [...] Trompettes, Joüeurs de Violon, Haut-bois, Saqueboutes, Cornets, Hautbois, Musettes de Poitou, Joüeurs de Fifres & Tambours, Cromornes & Trompettes Marines.  [2]

Neben der allgemeinen Bedeutung von Écuries für Pferdeställe, ist mit den Écuries am französischen Hof die Gesamtheit aller Gebäude und der damit verbundenen Posten am königlichen Hof gemeint. [3] Im Unterschied zur Grande Écurie, in welcher alle Reitpferde untergebracht sind, ist die Petite Écurie den Kutschenpferden vorbehalten. Garsault erwähnt im selben Abschnitt auch die fünf musikalischen Abteilungen der Écuries:

  • Trompettes,
  • Joüeurs de Violon, Haut-bois, Saqueboutes, Cornets
  • Hautbois, Musettes de Poitou,
  • Joüeurs de Fifres & Tambours,
  • Cromornes & Trompettes Marines.

Zwanzig Jahre nach seinem Parfait Maréchal veröffentlicht Garsault ein weiteres Buch, in welchem er noch genauer auf die Instrumente der Grande Écurie eingeht. Im 1761 erschienenem Notionaire ou Mémorial  [4] werden im Kapitel „Des Instrumens de Musique“ die meisten Instrumente der Grande Écurie detailliert beschrieben, u.a. findet sich dort die einzige Abbildung, in welcher ein „Cromorne“ auch explizit benannt ist. Es ist anzunehmen, dass Garsault durch seine Stellung am königlichen Gestüt bestens mit den am französischen Hof verwendeten Instrumenten vertraut war. Insofern befand sich nicht Garsault sondern Jürgen Eppelsheim „in völligem Irrtum“, wenn er in seinem 1986 erschienenen Artikel über Garsaults Notionaire diesem die Unkenntnis über die Geschichte und Verwendung des „Cromorne“ unterstellt: „Garsault, dessen Quelle für die Beschreibung des von ihm „Cromorne“ genannten Instruments wir nicht kennen, war insofern in völligem Irrtum, als er die durchaus moderne „contre-basse du Hautbois“, eine Schöpfung seiner Gegenwart, als ein ungebräuchlich gewordenes Instrument darstellt, dessen man sich in der Vergangenheit für die Basspartien von Tuttisätzen („grand choeurs“) mit sehr guter Wirkung bedient habe, das aber, weil für den Bläser anstrengend, durch den gestrichenen „contre-basse de Violon“ ersetzt worden sei.“  [5]

Die Bezeichnungen und Besetzungen der verschiedenen musikalischen Abteilungen der Grande Écurie verändern sich im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder, und sollen hier kurz dargestellt werden.

Musique de la Chambre

Musique de la Chambre

Des Trompettes de la Chambre, des Trompettes des Plaisirs, du Timbalier des Plaisirs

Über die „Trompettes de la Chambre“, die „Trompettes des Plaisirs“ und den „Timbalier des Plaisirs“.

Des douze Trompettes de la Grande Écurie, M. le Grand Ecuïer en choisit quatre, apelés particuliérement les quatre Trompettes Ordinaires de la Chambre du Roy, qui servent auprês de S.M. [...] Leur fonction est de soner à la tête des chevaux du Carosse du Roy , principalement dans les voïages, & quand le Roy entre dans les Villes. Ils servent aussi dans les cérémonies Roïales. [...] Ces quatre Trompettes de la Chambre & ces des Plaisirs se trouvent ensemble aux Grandes cérémonies Roïales. Au Batême des Enfans de France, au Mariages des Rois, au Sacre des Rois & des Reines, aux Pompes funêbres ou Enterrement de leurs Majestés & des Enfans de France, aux Publications de Paix. Outre les quatre Trompettes des Plaisirs, qui sont des Gardes du Corps, il y a encore un Timbalier des Plaisirs du Roy, tiré de la Compagnie de Noailles: nomé Claude Babelon.


Unter den 12 Trompeten der Grande Écurie hat Monsieur „le Grand Ecuïer“ vier ausgewählt, die „ les quatre Trompettes Ordinaires de la Chambre du Roy“ genannt werden, und direkt bei seiner Majestät dienen. [...] Ihre Aufgabe ist es vor der königlichen Kutsche zu spielen, hauptsächlich bei Reisen und wenn der König in einer Stadt ankommt. Sie spielen auch bei den königlichen Zeremonien. […] Die vier „Trompettes de la Chambre“ spielen bei den grossen königlichen Zeremonien mit den [vier] „Trompettes des Plaisirs“ zusammen: Bei den Taufen der königlichen Kinder, den Hochzeiten der Könige, den Krönungsfeierlichkeiten, den Beerdigungen ihrer Majestäten und deren Kindern und bei den Friedensverkündigungen. Bei den vier „Trompettes des Plaisirs“, die Teil der Leibgarden sind, gibt es noch einen „Timbalier des Plaisirs du Roy“ (aus der Compagnie Noailles) namens Claude Babelon.

Die „Douze Trompettes“ werden bis 1789, dem Jahr der französischen Revolution, im État de la France namentlich genannt. [8] Wobei hier, wie auch bei den anderen musikalischen Abteilungen der Grande Écurie, nicht klar ist, wie die Verpflichtungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirklich aussahen. Hier ist noch weitere Forschungsarbeit notwendig. [9]

Abbildung 5: Jean Le Pautre (1618-1682): La Pompeuse et Magnifique Cérémonie du sacre de Louis XIV, Paris 1654.
Foto: public domain.

1697 erscheint im État de la France eine neue Bezeichnung dieses Ensembles: „Douze Grands Haut-bois & Violons de la Grande Ecurie, anciennement apéles Grands Haut-bois, Cornets & Saqueboutes“.  [12] 1708 heisst es in den königlichen Rechnungsbüchern nur noch: „12 Hautbois“.  [13] Dies könnte auf eine Entwicklung hindeuten, die 1727 auch erstmals im État de la France in einem Nebensatz erwähnt ist: „aujourd'hui ils ne jouënt que du hautbois et du basson.“  [14] 1789 werden die Musiker letztmals im État de la France namentlich erwähnt.  [15]

Abbildung 6: La Cornemuse & les Haut-bois de Poictou, Marin Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Bd. III, S. 306.
Foto: public domain.

Barry Boydell 1982 schreibt in ihrem Buch The Crumhorn and other renaissance windcap instruments: „the posts were clearly often sinecures“.  [21] Allerdings beweist sie dies nur anhand der vermeintlichen Tatsache, dass Antoine François Ferrier 1714 im Alter von 10 Jahren schon Mitglied dieser Charge geworden sei. Dies stimmt insofern, als er 1714 statt des durchgestrichenen Stelleninhabers Philbert Rebille genannt wird. Von 1715-1717 aber wird wieder Rebille als Spieler genannt, und erst 1717 im Alter von 13 Jahren übernimmt Antoine François Ferrier den Posten.  [22] Allerdings wäre auch ein Eintrittsalter von 10 Jahren nicht so aussergewöhnlich gewesen, da z.B. auch Jacques Danican Philidor, der jüngere Bruder von André Danican Philidor, seinen Posten als Fifre bei den „Joueurs de fifres et tambours“ 1667 im Alter von 10 Jahren angetreten hatte.  [23]

„Lettre de retenue“  [32] von Michel II Danican Philidor (~1610 - 1659) [33] für seine Stelle als „cromorne et trompette marine de la Grande Ecurie“, Paris 1651

[…] ayant pris plaisir à l’armonie des joueurs de Cromorne et Trompette-marine qui sont des instruments de nouvelle invention composés de six parties, et voulant en cette considération nous en servir pour nos divertissemens, sçavoir faisons que pour le bon et louable rapport qui nous a été fait de la personne de Michel Danican l’un d’iceux, et de ses suffisances, loyauté, prudhommie, expérience et fidélité, pour des causes de l’advis de la Reyne régente notre très honorée dame et mère, Nous l’avons aujourd’hui retenu et retenons par ces présentes signées de notre main en l’état et charge de joueur de Quinte de Cromorne et Trompette-marine en notre grande Escurie.

Nachdem uns die Harmonie der Cromornes und Trompettes marines (es handelt sich dabei um neu erfundene Instrumente in sechs Stimmen) dermassen erfreut hat, haben wir uns entschlossen, uns ihrer für unsere Divertissements zu bedienen. Diesen Entschluss fassten wir aufgrund des guten und lobenswerten Berichts, der uns über die Person von Michel Danican erstattet wurde, der einer der Spieler [der Cromornes und Trompettes marines] ist, und nach Meinung der regierenden Königin [Regentin] unserer sehr geehrten Dame und Mutter für seine Genügsamkeit, Loyalität, Ehrbarkeit, Erfahrung und Treue bekannt ist. Mit diesem von uns unterschriebenen Lettre de retenue bestätigen wir den oben genannten Michel Danican in seiner Position als Spieler der „Quinte de Cromorne“ und „Trompette-marine“ in unserer Grande Écurie.

Welche Gründe könnte es haben, dass den bestehenden vier Ensembles der Grande Écurie um 1651 ein fünftes hinzugefügt wurde? Im oben zitierten „Lettre de retenue“ werden die Instrumente als „de nouvelle invention“ bezeichneten. Es ist jedoch nicht klar, ob damit nur die Cromornes gemeint sind, die hier tatsächlich zum ersten Mal erwähnt sind, deren Entwicklung aber doch schon so weit fortgeschritten war, dass man mit „six parties“ spielen konnte, oder auch die Trompettes marines. Die letzteren waren schon länger in Frankreich bekannt, und wurden unter anderem 1636 von Marin Mersenne in seiner Harmonie universelle ausführlich beschrieben.  [33] Allerdings handelt es sich dabei immer um die alte, dreieckige „Trumscheit“-Form, nicht um die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts neu entstandene mehrspänige Korpusform mit abgesetztem Hals, wie sie in Pieter Boels Bild Allégorie des vanités du Monde am linken Bildrand zu sehen ist. Es wäre demnach möglich, dass sowohl die Cromornes als auch die Trompettes marines „de nouvelle invention“ waren.

Abbildung 7: Boel, Pieter (1622 - 1674): Allégorie des vanités du Monde, 1663, Lille, Musée des Beaux-Arts.
Foto: T. Hirsch.

Dass Streich- und Blasinstrumente in derselben Abteilung zusammengefasst wurden, mag auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen, war in der Grande Écurie allerdings nichts wirklich Neues, wie die oben beschriebene Abteilung der Violons, Hautbois, Saqueboutes et Cornets zeigt.  [34] Da der französische Königshof Vorbild für ganz Europa war, werden bereits 1669 die Cromornes und Trompettes marines als unverzichtbarer Bestandteil höfischer Festlichkeiten genannt. Im Kapitel über die „Harmonie“ schreibt Claude François Ménestrier in seinem Buch Traité des Tournois, Joutes, Carrousels et autres spectacles publics, dass die Cromornes mit zu den geeignetsten Instrumenten für die „kriegerische Harmonie“ z.B. bei den Caroussels, den Reiterspielen gelten. Bei Festen, an welchen Schiffe beteiligt sind, sind dagegen die Trompettes marines unverzichtbar.  [35]

Der 1651 in Michel Danicans Lettre de retenue enthaltene Nebensatz „composés de six parties“ bezieht sich – wie schon erwähnt - nicht auf eine Zerlegbarkeit der Instrumente, sondern auf die Anzahl der Spieler, die im Lauf der Jahre immer wieder zwischen 6 und 5 Spielern wechselte. 1661 werden in den Papiers du Grand-Ecuyer  [36] nur fünf Spieler genannt, wobei zwei davon „dessus de cromorne et trompette marine“ spielen, einer „taille de cromorne et trompette marine“, einer „quinte de cromorne et trompette marine“ und einer „basse de cromorne und trompette marine“. 1666  [37] kommt ein zweites „Basse de cromorne“ dazu,  [38] so dass man eine vierstimmigen Besetzung mit verdoppelten Aussenstimmen vermuten könnte. In den États de la France wird die neue Abteilung erst viel später, nämlich 1680 erwähnt, allerdings nur mit einem Spieler von „Basse de Cromorne & Trompette Marine“ und einem „dessus de Cromorne & Trompette Marine“.  [39] Erst ab 1683 werden alle sechs Cromorne-Spieler aufgeführt, wobei bis 1694 immer nur zwei auch als Trompette marine-Spieler verzeichnet sind.  [40] Ein wichtiger Unterschied zu den in den Quellen in den Archives nationales  [41] ist, dass in den États de la France für die Cromornes et Trompettes marines nie ein zweiter „Dessus de Cromorne“ erwähnt wird, sondern stattdessen immer ein „Haute contre de Cromorne“. Dies würde gegen die These von der verdoppelten ersten Stimme sprechen. Zwei „Dessus de Cromorne“ sind in den États de la France hingegen schon seit 1690  [42] bei den Petits Violons (auch Violons du Cabinet genannt) belegt. Erstaunlich ist, dass sich dort innerhalb von 7 Jahren die Instrumentenbezeichnung von „dessus de cromorne“ über „ Dessus de Hautbois ou Cromorne“ (État de la France 1694) in „Dessus de Hautbois“ (État de la France 1697) wandelt. Dies ist einer der Gründe für die Hypothese, dass es sich bei „Dessus de Cromorne“ und „Dessus de Hautbois“ (der neuen französischen Oboe) um dasselbe Instrument handelt.  [43]

Bis 1722 wechselt in den Quellen immer wieder die Anzahl der Spieler (fünf oder sechs). Danach werden sowohl in den Dokumenten der Archives nationales als auch in den États de la France nur noch „Cinq Cromornes & Trompettes Marines de la Grande Ecurie“ genannt. Das letzte Mal sind die Spieler im État de la France von 1749 namentlich erwähnt.  [44] Jules Ecorcheville schreibt in seinem Artikel über die Grande Écurie aus dem Jahr 1903, dass alle fünf Musiker der Cromornes & Trompettes marines 1755 – obwohl sie ihre Stellen noch inne hatten - aus Paris weggezogen waren. Leider gibt er seine Quelle dafür nicht an.  [45] 1789 schliesslich, ist die Charge nur noch im Standardsatz zu den Aufgaben des Grand Ecuyer als „Joüeurs de Cromone [sic] & Trompette marine“  [46] vermerkt, in der Gagenliste taucht sie nicht mehr auf.

Der grosse Erfolg der „neuen“ Cromornes am französischen Hof zeigt sich auch in der Tatsache, dass im État de la France von 1684 im Abschnitt über die Cromornes der Grande Écurie auch erstmals die Verwendung von zwei Cromornes in der Chapelle beschrieben ist: „Il y a aussi deux Cromornes à la Musique de la Chapelle“. 1692 wird dies auch im Abschnitt über die „Symphonistes de la Musique de la Chapelle“ bestätigt.  [47] Allerdings wird hier nur André Danican-Philidor, l'aîné, als „Basse de Cromorne“ genannt, mit dem Jahr 1682 als Stellenantrittsdatum. Überhaupt war dem „Basse de Cromorne“ am meisten Erfolg beschieden, wie die Verwendung in zahlreichen Opern  [48] [Siehe die Artikel über die Cromornes.] zeigt. Noch 1760 sind im Etat actuel de la Musique de la Chambre du roy drei Spieler als „Basse de Cromorne“ erwähnt.  [49] Nur ein Jahr später, 1761, zählt der schon zu Beginn erwähnte François-Alexandre-Pierre de Garsault in seinem Notionaire den Basse de Cromorne hingegen zu den Instrumenten die „hors d’usage“ also „ausser Gebrauch“ seien. Er fügt jedoch hinzu: „mais qui peuvent y revenir“, „die aber wieder zurück kommen könnten.“ Die Trompette marine reiht Garsault – zusammen mit Blockflöte, Flageolet, Spinett, Hackbrett und Maultrommel - unter die „Instruments d’amusement“ ein.  [50]

Abbildung 8: Grande Écurie und Avant-cour (Cour des ministres), Chateau de Versailles.
Foto: T. Hirsch.
Abbildung 9: Rechter Seitenflügel des Avant-cour von Schloss Versailles. Erbaut nach Plänen von J. Hardouin-Mansart, 1680 fertiggestellt.
Foto: T. Hirsch.
Abbildung 10: Pierre Denis Martin (1663-1742), Vue du château de Versailles, 1722 (Ausschnitt).
Foto: T. Hirsch.

Eine der wichtigsten Abteilungen der Gardes Suisses waren die Cent Suisses, eine Kompanie der Palastgarden (Gardes du Roy), die, wie schon der Name sagt, aus hundert Soldaten mit Schweizer Herkunft bestand. Das Vertrauen der französischen Könige in die Cent Suisses war so gross, dass sie seit 1496 als Leibgarde immer direkt für deren Sicherheit zuständig war.  [53] Im État de la France heisst es 1661: „[Les cent Suisses] vont à costé de Sa Majesté, selon qu'elle est à pied, en carosse ou à cheual avec leurs propres Officiers, tambour battant, fifre à leur teste“.  [54] Der König wurde demnach nicht nur physisch beschützt, sondern auch musikalisch, mit den für die Schweizer Truppen typischen Instrumenten Fifre und Tambour. Die Besetzung wechselte im Lauf der Jahre zwischen drei Tambours und einem Fifre  [55] und vier Tambours und einem Fifre  [56] , wobei dies - laut Allain Manesson-Mallets Buch über die Kriegskunst Les travaux de Mars von 1696 - die normale Besetzung für die „Infanterie Suisse“ war.  [57] Einzig bei besonderen Anlässen wie z.B. Beerdigungen ist im État de la France von der Verwendung mehrerer Fifres der Cent Suisses die Rede: „Quand un Officier meurt [...], les tambours qui battent sont couverts de crêpe, ou d'êtofe noire, & les fifres joüent d'un ton lugubre ordinaire pour les enterremens.“  [58]

Abbildung 11: Martin Pierre Denis (1663-1742), Sor-tie de l'ambassadeur de la Sublime Porte, Paris 1721, Musée Carnavalet (Ausschnitt). Foto: T. Hirsch
Abbildung 12: Charles Parrocel (1688-1752), Le défilémilitaire du 1er juin 1739, Paris, Musée Carnavalet (Ausschnitt).

1791 wurden die Cent Suisses auf Beschluss der Nationalversammlung aus ihrem Dienst entlassen  [59] und konnten – sofern sie noch einen Schweizer Bürgerbrief hatten – in ihre Heimatkantone zurückkehren.  [60] Dass der in den Schweizer Tambour-Ordonnanzen von 1799 und 1819 enthaltene Generalmarsch auf einer Komposition des französischen Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully (1632-1687) basiert,  [61] ist möglicherweise der Erinnerung an die glorreichen Zeiten der Cent Suisses am französischen Königshof zu verdanken.

[1]

François-Alexandre-Pierre de Garsault (1693-1778), Le nouveau parfait Maréchal, Paris 1741, S. 53.

[2]

François-Alexandre-Pierre de Garsault (1693-1778), Le nouveau parfait Maréchal, Paris (Despilly) 1741, „Dictionnaire des termes de Cavalerie“, p. XXX, EC: „Escurie: Gebäude um Pferde anzubinden, unterzustellen und zu füttern. [...] Ecurie bedeutet aber nicht nur das Gebäude für die Pferde, sondern auch alles, was damit in Verbindung steht. Das heisst: die Wohnungen für alle Offiziere, Stallknechte etc. Zusammen genommen bilden sie ein Ensemble von Gebäuden. Die Écuries du Roy & des Princes sind in diesem Sinne zu verstehen. Die Écuries du Roy de France sind in zwei Gebäude unterteilt: Eines ist für die Dressur-, die Kriegs-, die Reit- und Jagd-Pferde und heisst Grande Écurie. Das andere heisst Petite Écurie und ist für die Kutschenpferde. Bei den Offizieren der Stallungen gibt es einige, die sowohl der Grande als auch Petite Écurie zugeordnet sind. Dies sind: [...] Trompettes, Joüeurs de Violon, Haut-bois, Saqueboutes, Cornets, Hautbois, Musettes de Poitou, Joüeurs de Fifres & Tambours, Cromornes & Trompettes Marines.“

[3]

Im Deutschen wäre das der Marstall (von althochdt.: marahstal, zusammengesetzt aus marah ‚Pferd (Mähre)‘ und stal ‚Stall‘).

[4]

François-Alexandre-Pierre de Garsault (1693-1778), „Notionaire ou Mémorial...“, Paris 1761, S. 626-662.

[5]

Jürgen Eppelsheim, „Garsaults "Notionaire" (Paris 1761) als Zeugnis für den Stand des französischen Holzblasinstrumentariums um 1760“, in: Dr. Eitelfriedrich Thom (Hg.), Bericht über das VI. Symposium zu Fragen des Musikinstrumentenbaus - Holzblasinstrumente des 17. und 18. Jahrhunderts, Michaelstein/Blankenburg 1986, S. 56-77.

[6]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 69, 1644.

[7]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 107, 1665.

[8]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644–1789), Paris 2003, S. 370, 1789.

[9]

Jules Ecorcheville schreibt 1903 in seinem Artikel „Quelques Documents sur la Musique de la Grande Écurie du Roi“, in: Sammelbände der Internationalen Musik Gesellschaft, Leipzig 1903, S. 616, dass die Stellen der Trompettes (abgesehen von den vier „Trompettes de la Chambre“) mit der Zeit immer mehr zu Sinekures (Stellen, mit welchen Einkünfte, aber keinerlei Amtspflichten verbunden sind) wurden, da die Stelleninhaber sich zunehmend vertreten liessen.

[10]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644–1789), Paris 2003, S. 80, 1652. Im selben État de France von 1652 lautet die Bezeichnung auch einmal: „Douze Joüeurs du haut-bois, cornets, violles [sic] & saqueboutes“.

[11]

Die Verwendung der „dessus de cornets“ (Zinken) in dieser Abteilung der Grande Écurie ist für Bruce Haynes in seinem Buch A history of performing pitch, Oxford 2002 (S. 98-100), eines der Hauptargumente seiner Hypothese um den, im Nachlass von Jacques Danican Philidor erwähnten, „tond descurie“ (Ton d’Écurie) bei a’= ca. 460-480 Hz zu identifizieren.

[12]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 221, 1697.

[13]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 218: Série: KK 212 (Comptes de la Maison du Roi).

[14]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 334, 1727.

[15]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 370, 1789.

[16]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 81, 1652.

[17]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 4: Série O1  872 (Etat des Officiers de la Maison du Roi), no 4.

[18]

Yolande de Brossard, Erik Kocevar, États de la France (1644 - 1789), Paris 2003, S. 221-371.

[19]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 219: KK 212 (Comptes de la Maison du Roi), fo 228.

[20]

Marin Mersenne, Harmonie universelle, Paris 1636, Livre V, S. 305-307.

[21]

Barry Boydell, The Crumhorn and other renaissance windcap instruments, Buren 1982, S. 346.

[22]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 284, 1717, Série O1 872 (Papiers du Grand-Ecuyer) n° 22.

[23]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 18, 1717, Série O1 872 (Papiers du Grand-Ecuyer) n° 7 und 81.

[24]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 81, 1652.

[25]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 4, 1661, Série O1 872 (Etat des Officiers de la Maison du Roi) no 4.

[26]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 155, 1683.

[27]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 109, 1687, Série O1 878 (Maison du Roi. Papiers du Grand Ecuyer) n° 277. „Den 8 Tambours und Fifres für ihre Zusatzdienste während meiner Reise nach Luxembourg vom 10 May bis 7 Juni [1687]: 348 Livres tournois“.

[28]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 103, 1663.

[29]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 217, 1697.

[30]

Die Gleichzeitige Verwendung von „altem“ Namen einer „Charge“ (Abteilung) zusammen mit einer diesen praktisch widerlegenden „realen“ Instrumentenbezeichnung ist in den historischen Quellensammlungen zahlreich. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist es deswegen wichtig, immer eine grössere Anzahl von Einträgen zu vergleichen, um den realen Entwicklungen auf die Spur zu kommen. Dies betrifft auch die Hinweise in den États de la France zu Auftritts-Verpflichtungen verschiedener Chargen, da diese teilweise nur von Jahr zu Jahr weiterkopiert werden, und nicht den tatsächlichen Bedingungen entsprechen müssen.

[31]

Nicolas Guérard (~1648-1719), L'Art militaire ou Les Exercises de Mars, Paris ~1695, ohne Seitenzahl: „Die Fifres waren früher mehr im Gebrauch als heute. Es gibt sie in Frankreich kaum mehr, ausser bei den Schweizer Kompanien, die sie nach wie vor verwenden.“

[32]

Ein vom König (oder der Regentin) verliehener „Lettre de retenue“ bewilligte dem Inhaber nicht vererbbarer höfischer Posten das Privileg sein Amt gegen eine festgesetzte Summe an einen Nachfolger zu verkaufen.

[33]

"Lettre de retenue de Michel II Danican pour la charge de cromorne et trompette marine de la Grande Ecurie", Paris, 1651, Frankreich, Privatbesitz. Das Dokument ist beschrieben bei: Ernest Thoinan, „Les Philidor, généalogie biographique des musiciens de ce nom“, in: La France musicale, n° 52, 29.12.1867, Paris, S. 405-407.

[34]

Die Verbindung von einem Streichinstrument mit einem Blasinstrument innerhalb derselben Stelle gab es noch bis Ende des 20. Jahrhunderts. Bis dahin war es eine übliche Orchesterpraxis für die Spieler der hinteren Kontrabass-Pulte die Verpflichtung zur (seltener gebrauchten Tuba) in die Stellenausschreibung einzuschliessen.

[35]

Claude François Ménestrier (1631-1705), Traité des Tournois, Joutes, Carrousels et autres spectacles publics, Lyon 1669, S. 168-169: „De l’Harmonie: [...] Les Trompettes, Tambours, Tymbales, Clairons, Nacaires, Attabales, Cornets, Timbes, Cimbales, Dulcines, Haut-bois, Cromornes, Fifres, Flutes traversieres, sont les instrumens les plus propres pour cette harmonie guerriere. [...] Sur les Machines Militaires, il ne faut que des Instrumens Militaires. Sur les Machines Champestres, & Rustiques, des Instrumens champestres. Sur les Vaisseux des Trompettes Marines.“

[36]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 4: Série O1  872 (Etat des Officiers de la Maison du Roi), no 4.

[37]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971, S. 15: Série Z1a 488 (Etat des Officiers de la Maison du Roi).

[38]

Die Identifikation von André Langlois als „Basse de Cromorne“ Spieler ist durch einen Eintrag im État de la France von 1684 möglich.

[39]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 143.

[40]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 155-204.

[41]

Marcelle Benoit, Musiques de Cour, Paris 1971.

[42]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 190, 1692.

[43]

Siehe Projekt-Artikel von V. Robin über die Cromornes: www.forschung.schola-cantorum.basiliensis.ch/de/forschung/grande-ecurie/robin-cromornes.html.

[44]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 359.

[45]

Jules Ecorcheville: „Quelques Documents sur la Musique de la Grande Ecurie du Roi“ In: Sammelbände der Internationalen Musik Gesellschaft, Leipzig 1903, S. 632: „Comme les autres charges des musiciens de l’écurie, celles-ci eurent peu à peu des titulaires absents de Paris. En 1755, l’un demeure à Noyon, l’autre à Hedsin en Artois, un autre à Châlons, le 4e à Rouen et le 5e à Pézenas.“

[46]

Falls es sich bei „Cromone“ nicht nur um einen Schreibfehler handelt, könnte dies auch ein Hinweis darauf sein, dass das Instrument nicht mehr allgemein bekannt war.

[47]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 187.

[48]

Siehe Projekt-Artikel von V. Robin über die Cromornes: www.forschung.schola-cantorum.basiliensis.ch/de/forschung/grande-ecurie/robin-cromornes.html.

[49]

Pierre Ferdinand Vente, État actuel de la Musique de la Chambre du roy et des trois spectacles de Paris, Paris 1760.

[50]

François-Alexandre-Pierre de Garsault (1693-1778), Notionaire ou Mémorial..., Paris 1761, S. 633.

[51]

Quelle: Museum des Gardes Suisses, Rueil-Malmaison.

[52]

Noch heute kann man in der Pflasterung des Avant-court parallele Linien erkennen. Es handelt sich hier nicht um Fahrspuren für Kutschen, sondern um die historischen Aufstellungsmarkierungen für die königlichen Garden. Diese kann man dem Bild von Pierre Denis Martin (1663-1742), Vue du château de versailles, 1722 gut erkennen.

[53]

Michel Rochat, Drapeaux flammés, Paris 1994, S. 13.

[54]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 99, 1661: „Die Offiziere der Cent Suisses gehen an der Seite seiner Majestät, gleich ob diese sich zu Fuss, in der Kutsche oder zu Pferd fortbewegt. An der Spitze des Zuges spielen Tambour und Fifre.“

[55]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 162, 1684: „La Compagnie des Cent Suisses est donc composée de cent Soldats de cette Nation, y compris trois Tambours & un Fifre.“ / „Die Kompanie der Cent Suisses besteht aus hundert Soldaten dieser Nation, eingeschlossen drei Tambours und ein Fifre.“

[56]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 219, 1697: „La Compagnie des Cent Suisses de la Garde du Corps du Roy est composée de cent homes de cette Nation, y compris les quatre Tambours & le Fifre.“ / „Die Kompanie der Cent Suisses besteht aus hundert Soldaten dieser Nation, eingeschlossen vier Tambours und ein Fifre.“

[57]

Allain Manesson-Mallet, Les travaux de Mars, La Haye 1696 (erste Ausgabe 1671), Tome III  S. 26: "De l'Infantrie Suisse. [...] Quatre Tambours, & le Fifre [...].“

[58]

Yolande de Brossard, Érik Kocevar, États de la France (1644-1789), Paris 2003, S. 219, 1697.

[59]

Michel Rochat, Drapeaux flammés, Paris 1994, S. 14.

[60]

Jean Hubert-Brierre, Les Cent-Suisses, Garde rapprochée du Roy, Paris 2005, S. 19.

[61]

Siehe Artikel über die Tambours am französischen Hof von T. Hirsch.