Die neue Basso continuo-Orgel im Kleinen Saal der Musik-Akademie Basel / Hochschule für Musik FHNW (2020)

Veröffentlicht: 24.03.2022     Autor/in: Thomas Drescher

Abstract

Mit der Renovation des Kleinen Saals der Musik-Akademie Basel wurde auch die dortige, obsolet gewordene Orgel von 1956 ersetzt. Die Anlage der neuen Orgel des Kleinen Saals von Steinhoff/Zanin folgt einem besonderen Konzept und ist damit ein weltweit einzigartiges Instrument, das für die Verwendung vor allem als Basso continuo-Instrument in der Alten Musik eingesetzt werden kann. Am 16. Oktober 2020 wurde sie mit dem renovierten Kleinen Saal offiziell eingeweiht. Die Finanzierung wurde dankenswerterweise durch die Fachhochschule Nordwestschweiz ermöglicht.

Schlagwörter

basso continuo; Orgel; historische Stimmungen; historische Stimmtonhöhen; Subsemitonien; Ensem-blepraxis; Steinhoff; Zanin

Zitierweise

Thomas Drescher, "Die neue Basso continuo-Orgel im Kleinen Saal der Musik-Akademie Basel / Hochschule für Musik FHNW (2020)". Forschungsportal Schola Cantorum Basiliensis, 2022.
https://forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/de/publikationen/drescher-orgel-kleiner-saal.html (Abgerufen am TT MM JJJJ)

Lizenz

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Die Metzler-Orgel des Kleinen Saals von 1956

Dieser neue Konzertsaal wurde am 11. Mai 1956 eingeweiht [1] und war vor allem für die Aktivitäten der Schola Cantorum Basiliensis bestimmt. Die Saalorgel, gebaut von der Firma Metzler & Söhne (Dietikon, ZH), war auf den damals noch sehr unüblichen tiefen Stimmton 415 Hz eingerichtet. Das Instrument spielte damit eine wichtige Rolle in der Etablierung dieses für die Alte Musik bis heute wichtigen Charakteristikums. [2] In den 1950er Jahren war es aber noch nicht üblich historische Temperaturen zu verwenden, deshalb war die Orgel in gleichstufiger Stimmung angelegt.

Abb. 1: Historisches Foto des Kleinen Saals mit Metzler-Orgel
Archiv Schola Cantorum Basiliensis

Diese beiden Eigenschaften – Stimmton 415 Hz und Gleichstufigkeit – schränkten den Gebrauch der Orgel aber je länger je mehr ein, denn die Praxis der Alten Musik hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten immer weiter ausdifferenziert. Soweit es den Stimmton betrifft, folgen z.B. die frühen Holz- und Blechblasinstrumente heutigentags dem hohen Chorton (italienisch: «mezzo punto»), mit einem a’ bei 466 Herz, wie er für die Kirchenmusik des 16. und 17. Jahrhunderts anzutreffen war. Für das französische Repertoire gelten hingegen wesentlich tiefere Stimmtonhöhen um a’= 400 Hz, heute hat man sich auf 392 Hz geeinigt. Dazwischen liegt die (mehr oder minder fiktive) alte Musik-Stimmung heutiger Tage mit a’= 415 Hz und unser moderner Kammerton mit a’= 442 Hz, der immerhin historische Vorbilder hat, denn er kommt dem italienischen «tutto punto» nahe und wird demnach auch als historischer Stimmton eingesetzt.

Hinzu kommt das wichtige Kriterium der Temperatur, worunter die Art verstanden wird, in welcher der vorhandene Tonvorrat gestimmt ist. Unser moderner Gebrauch der (annähernd) gleichstufigen Teilung der 12 Halbtöne einer Oktav war für das 16., 17. und weite Teile des 18. Jahrhunderts nicht üblich. Man benutzte vor allem sog. mitteltönige Temperaturen, welche die Tonarten, die im Quintenzirkel nahe an C-Dur liegen, besonders «rein» darstellen, vor allem bezogen auf die Position der Terz. Zur Erweiterung dieser Temperatur auf entferntere Tonarten wurden die Obertasten häufig «gebrochen», d.h. eine Taste erhielt zwei hintereinander liegende Teile (sog. Subsemitonien, der hintere Tastenteil ist dabei etwas erhöht), die jeweils leicht unterschiedlich gestimmt sind, um die je andere Position desselben Tones in unterschiedlichen Tonarten klanglich darstellen zu können. Vor allem gis/as und dis/es wurden als Erweiterungen berücksichtigt.

Diese aus heutiger Perspektive wichtigen Elemente und Eigenschaften historischer Orgeln fehlen bei der Metzler-Orgel. Daher wurde auch der Wunsch nach einer neuen Orgel laut, als 2019–2020 die grundlegende Renovierung des Kleinen Saals anstand. Vor den Renovationsarbeiten wurde die alte Metzler-Orgel im Juli 2019 ausgebaut und fand einen neuen prominenten Standort als Chororgel im Dom zu Parma (Italien), nun versehen mit einem Prospekt, den sie früher im Kleinen Saal nicht besass.

2a-b: Fotos der Metzler-Orgel des Kleinen Saals am neuen Standort im Dom von Parma
Zur Verfügung gestellt
Abb. 4: Kleiner Saal mit der neuen Orgel, Holztüren offen
Foto: Susanna Drescher

Mit seinen in Ahorn ausgeführten Holzteilen integriert sich das Instrument bruchlos in die Holzverkleidung des Saals. Neu für die Saalgestaltung sind die drei prominenten Prinzipalfelder im Prospekt, nach italienischem Vorbild. Während die alte Orgel diskret hinter einem Holzgitter verborgen war (siehe Abb. 1), prägt das neue Instrument nun die Erscheinung des Raumes und vor allem der Bühnensituation. Es kann allerdings eine Markise in der lichtgrauen Wandfarbe vor dem Prospekt abgesenkt werden, wodurch es komplett verborgen wird, falls der Saal bzw. die Bühne in einer Situation gebraucht wird, in der der Orgel-Prospekt unpassend wäre.

Abb. 5: Kleiner mit der neuen Orgel, verdeckt durch Türen und Markise
Foto: Susanna Drescher

Die Orgel des Kleinen Saals versucht die Vorteile moderner Truhenorgeln (Vielseitigkeit der Stimmtonhöhen durch Transpositionsvorrichtungen, rasch anpassbare Temperaturen) mit den Vorteilen feststehender historischer Orgeln (grösseres Format, Klangfülle, offene Register, Metallpfeifen, Einsatz des Pedals) zu vereinen, was einige bauliche Besonderheiten zur Folge hat. Das Instrument besitzt zwei nicht synchronisierte Manuale und ein Pedal. Das obere «italienische» Manual, mit einer hellen Klaviatur aus Buchsbaum und chromatischen Tasten aus schwarzem Ebenholz, ist für die Prinzipalregister italienischer Bauart bestimmt, die in zwei Stimmtonhöhen zur Verfügung stehen, 440 Hz und 465 Hz (jeweils Principale 12' und Ottava 6') und mitteltönig (1/4 Komma) gestimmt sind. Wie erwähnt, eignen sich diese Register vor allem, aber nicht nur, für italienische Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Das Manual enthält ausserdem Subsemitonien auf geteilten Obertasten (dis/es und gis/as) und besitzt den Umfang der grossen italienischen Orgel bis ins Kontra F.

Die tiefere Klaviatur, mit Tasten aus schwarzem Ebenholz und Obertasten mit heller Bein(Knochen)-Auflage, ist mit drei unterschiedlich gestimmten Registerarten verbunden: Ein Bourdon 8’ aus Metall steht auf dem tiefen französischen Stimmton von 392 Hz in einer ebenfalls aus Frankreich überlieferten Temperatur. [6] Zwei Holzregister (Gedackt 8’, Flöte 4’) stehen auf 415 Hz und folgen einem Stimmungsvorschlag von Johann Georg Neidhardt für die Orgel einer «Kleinen Stadt». [7] Diese beiden Register können mit dem 16’-Subbass des Pedals verbunden werden. Ein gleichstufig gestimmtes Flötenregister auf 441 Hz schliesslich ermöglicht das Zusammenspiel mit dem modernen Instrumentarium.

Abb. 7: Registerzüge links & rechts
Foto: Susanna Drescher
[1]

Hans Oesch, Musik-Akademie der Stadt Basel. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Musikschule Basel, Basel: Schwabe 1967, S. 153-154.

[2]

Anne Smith, "The Curious Story of Low Pitch at the Schola Cantorum Basiliensis". Forschungsportal Schola Cantorum Basiliensis, 2020. https://forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/de/forschung/ina-lohr-project/smith-low-pitch.html (30.12.2021).

[3]

In der Schweiz gibt es mit den Toggenburger Hausorgeln des 18. Jahrhunderts sogar eine spezifische Ausprägung dieser Instrumente.

 

[4]

Zur Orgel als Basso continuo-Instrument siehe auch das Video «Organs for Accompaniment» auf der Plattform «Early Music Sources» (30.12.2021).
Als Beispiel für das Musizieren an einer historischen Orgel von Costanzo Antegnati von 1588 in der Kirche San Nicola in Almenno San Salvatore siehe die Video-Aufnahme der Motette Sub umbra illius von «Carlo G» mit Elam Rotem (Orgel) und Perrine Devillers (Gesang) (abgerufen am 30.12.2021). Weitere Werke aus dem «Carlo G. Manuscript», aufgenommen an der historischen Antegnati-Orgel der Chiesa dei Santi Eusebio e Vittore in Pegli, sind auf einer CD der Schola Cantorum Basiliensis zu hören (30.12.2021).

[5]

Belege für diese Praxis finden sich über das 17. Und 18. Jahrhundert verteilt z.B. bei Michael Praetorius, Friedrich Erhardt Niedt, Johann Sebastian Bach (siehe z.B. BWV 71), Jakob Adlung, Carl Philipp Emmanuel Bach, Johann Friedrich Daube oder Johann Samuel Petri.

[6]

Lambert Chaumont, Pièces d’orgue sur les huit tons, op. 2, Huy 1695.

[7]

Johann Georg Neidhhardt, Sectio canonis harmonici, Königsberg 1724.