Dieser Text ist erschienen in: "Glareana, Nachrichten der Gesellschaft alter Musikinstrumente", 55/H. 2 (2006), S. 59-80.
Published: 01.01.2009 Author: Thilo Hirsch
Thilo Hirsch, "Wiederentdeckung einer Trompette marine von F. Saraillac nach Plänen J.-B. Prins".
Forschungsportal Schola Cantorum Basiliensis, 2009.
https://forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/en/forschung/grande-ecurie/hirsch-trompette-marine.html
(retrieved: DD MM YYY)
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Dieser Text ist erschienen in: "Glareana, Nachrichten der Gesellschaft alter Musikinstrumente", 55/H. 2 (2006), S. 59-80.
„Messieurs
Que direz vous de ma simplicité, d’oser présenter à un Corps aussi illustre que le Vôtre, un Traité sur la Trompette Marine, vil instrument, meprisé à la verité de Ceux qui ne le connoissent pas, et ignoré de Ceux qui peut être seroient contents d'en avoir connoissance. […] M’êtant donc fait entendre dans Lion, l’on me rechercha. je formay plusieurs écoliers, et fis construire des Trompettes Marines à ma maniere, par les sieurs Goutenoire et Seraillac habilles Luttiers, qui ont suivi ma méthode de les organiser, de même que le sieur Imbert. pendant le séjour que j’y ai fait en differents tems, ils m’ont construit plus de 150. Trompettes Marines, dont j’en ai envoyé une partie dans les pais Etrangers.“
„Meine Herren,
was werden Sie zu meiner Einfalt sagen, dass ich es wage, einer solch illustren Gesellschaft wie der Ihren eine Abhandlung über die Trompette marine zu präsentieren. Dieses Instrument, das in Wahrheit nur von denjenigen verachtet wird, die es nicht kennen, und von denjenigen ignoriert, die vielleicht glücklich wären, es kennen zu lernen. [...] Nachdem man mich in Lyon spielen gehört hatte, wurde ich ein gefragter Musiker. Ich bildete zahlreiche Schüler aus, und liess von zwei erfahrenen Instrumentenbauern, den Herren Goutenoire und Seraillac, Trompettes marines nach meinen Vorstellungen konstruieren, indem sie meine Anweisungen befolgten, diese in der selben Art wie Herr Imbert einzurichten. Während meines Aufenthalts in Lyon bauten sie für mich mehr als 150 Trompettes marines, von welchen ich einige in fremde Länder verschickt habe.“
Mit diesen Worten beginnt Jean-Baptiste Prin (*um 1669, † nach 1742) der einzige namentlich bekannte Trompette marine-Virtuose das Vorwort zu seinen 1742 geschriebenen Mémoires. [1] In diesem Manuskript beschreibt und illustriert Prin detailliert Geschichte, Konstruktion und Spieltechnik des Instruments. Schon im ersten Abschnitt benennt er die drei Lyoneser Instrumentenbauer Imbert, Goutenoire und Seraillac, mit welchen er zusammengearbeitet hat, und die über 150 Trompettes marines für ihn gebaut haben.
Bis vor kurzem sah es so aus, als wenn von dieser großen Anzahl Instrumente nichts mehr erhalten wäre. Nun sind aber kurz nacheinander zwei Instrumente aus dem engen Umkreis von Prin wieder zum Vorschein gekommen. Ob es sich allerdings bei dem im Jahr 2001 in einer Schweizer Privatsammlung wiederaufgetauchten Instrument mit dem Brandstempel «Inber a Lyon» wirklich um Prins eigenes Instrument handelt, wie es 1933 von dem Musikwissenschaftler F.W. Galpin [2] behauptet wurde, bleibt noch zu erforschen, da das Instrument in seinem heutigen Zustand weder in allen Punkten der Beschreibung Prins, noch den Photos aus dem Jahr 1900 entspricht.
Das zweite Instrument, von dem in diesem Artikel die Rede sein soll, befindet sich im Musée Crozatier in Puy en Velay (Frankreich) und trägt die Inventar-Nr. 840.65. [3] Das Instrument wurde vor 1840 vom Museum erworben. [4] Es ist das einzige Musikinstrument der umfangreichen Sammlungen des Musée Crozatier zu verschiedensten Themen wie: gallo-römische Ausgrabungen, mittelalterliche Bauskulpturen, Ethnologie (Klöppelhandwerk), Gemälde, Naturgeschichte, Technik. In seiner Vielfalt ist das Museum typisch für die enzyklopädischen Sammlungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Mit der Unterstützung der GEFAM war es dem Autor möglich, das Instrument im Frühjahr 2006 zu vermessen und fotografisch zu dokumentieren.
„Je détermine donc aujourd’hui La Trompette Marine pour meilleure a 7. pans, de bois d’Erabe, les tables sont d’environ une ligne 8. points d’épaisseur, la principalle doit avoir un pied de large par le bas et le haut 6. poulces, sa longueur 4. pieds de Corps allongée d’un Manche de 2. pieds, et d’une Teste à mortoise pour la cheville d’environ demy pied; ce qui seroit cy devant dans la feüille dessinée.“ [5]
„Schlussendlich kann ich sagen, dass die Trompette marine am besten aus 7 Ahornspänen besteht. Die Späne sind ungefähr einen Strich und 8 Punkte [3,75 mm] dick. Die Decke sollte am unteren Ende einen Fuß (324,7 mm), und am oberen 6 Daumen [162,3 mm] breit sein. Die Länge des Corpus beträgt 4 Fuß [1298,9 mm] und wird durch einen Hals von 2 Fuß [649,4 mm] Länge und einen Kopf mit ausgestemmten Wirbelkasten von ca. einem halben Fuß [162,3 mm] Länge ergänzt. All dies kann man in der Zeichnung sehen.“
Schon bei einer ersten Gegenüberstellung der Trompette marine im Musée Crozatier mit der Zeichnung [6] von Prin fällt ins Auge, wie ähnlich sich die beiden sind.
Prin gibt in seiner Zeichnung und im Text alle Maße in den damals gebräuchlichen „Pieds de Roi“ (Pariser Fuß) an. Ein Pied entspricht im 18. Jahrhundert 324.7325 mm. [7] Das Pied wird in 12 Pouces (Daumen), diese wiederum in 12 Lignes geteilt. Da Prin auf seiner Zeichnung teilweise andere Maße angibt als im Text, sind in der folgenden Tabelle beide Werte angegeben (Prin Zeichnung/Prin Mémoire). In der letzten Spalte finden sich die entsprechenden Masse [8] der Tromba marina im Musée Crozatier.
Trotz seiner unterschiedlichen Längenangaben in Text und Zeichnung bleibt die Hauptproportion bei Prin immer ein Wert von 2:1. Dies betrifft das Verhältnis Korpus/Halsmensur, die untere/obere Deckenbreite [9] und die Korpushöhe am unterer Korpusrahmen/Oberklotz. Das Instrument im Musée Crozatier entspricht dieser Proportion von 2:1 bei der unteren und oberen Deckenbreite (301 mm:150 mm) sehr genau, auch die Zargenhöhe ist bei einem Verhältnis von 194 mm (ohne Zierleiste):100 mm nicht weit davon entfernt. Bei dem Verhältnis von Korpus zu Halsmensur ergibt sich nur dann eine annähernde Proportion von 2:1, wenn man als Korpuslänge nur die tatsächliche Länge der Decke misst, und die auf den Oberklotz aufgeleimte schwarz gefärbte und verzierte Abschlussplatte des Korpus der Halsmensur zurechnet (1190 mm: 601 mm). Das Grundmaß zur Konstruktion des Instruments könnte demnach die Lange von ca. 300 mm gehabt haben, aus dem die anderen Masse abgeleitet wurden. Dass ein Instrument, das nur mit Obertönen d.h. harmonischen Teilungen gespielt wird, auch „harmonisch“ konstruiert wurde, liegt eigentlich nahe.
Der Korpus ist aus sieben geflammten Ahornspänen zusammengesetzt. Zwischen diese Späne sind Adern aus dunkelbraun/schwarz gefärbtem Holz eingefügt. Am unteren Ende werden die Späne von einer kannelierten Zierleiste aus dunkel gefärbtem Hartholz abgeschlossen. Am Oberklotz sind die Späne mit Nägeln fixiert und angeleimt. Das obere Korpusende bildet eine achteckige, profilierte Platte. Auch diese ist aus schwarz gefärbtem Hartholz (wahrscheinlich Ahorn).
Die Decke besteht aus mehreren Streifen feinjährigem Fichtenholz. Leider ist sie stark durch (immer noch bzw. schon wieder aktiven) Holzwurmbefall beschädigt. Anscheinend wurde die gesamte Decke schon einmal restauriert [10] und zu diesem Zweck vom Corpus abgelöst. [11] Dies lässt sich deutlich an mehreren neu eingesetzten Fichtenholzstücken erkennen. Im Zuge dieser Deckenrestaurierung wurde auch an der unteren linken Deckenkante ein ca. 40 cm langer Fichtenstreifen eingesetzt und die originale Randverzierung aus Knochen und Ebenholz beidseitig durch eine schlichte Ebenholzleiste ergänzt.
Im unteren Deckenviertel befindet sich unter der Spielsaite ein eingelegtes Plättchen aus Ebenholz, welches zur Stabilisierung der Auflagefläche des stationären Schnarrsteg-Fußes dient. Solche Plättchen aus Hartholz, Ebenholz, Elfenbein, Knochen und sogar Glas finden sich auf mehreren erhaltenen Trompettes marines. [12] Allerdings sind diese Plättchen dann meist entweder unter dem gesamten Stegbereich (wie auf dem Foto unten rechts [13]) oder nur unter dem auf die Decke schlagenden Stegfuß [14] zu finden. Diese Anordnung beschreibt auch Mersenne in seiner Harmonie Universelle 1636. [15]
Die praktische Spielerfahrung des Autors hat gezeigt, dass es besser ist, den Schnarrsteg nicht dauernd auf dem Instrument zu lassen, sondern ihn - ähnlich einem Oboenrohr - erst bei Spielbeginn zu platzieren. Dies hat eine Abnützung der Decke an der Stegstelle zur Folge. Um dem vorzubeugen, ist ein Hartholzplättchen unter dem stationären Stegfuß durchaus sinnvoll.
Überraschend erscheint im ersten Moment, dass das Plättchen an der Trompette marine im Musée Crozatier vertikal statt horizontal angeordnet ist. Auch hier könnte die Erklärung in der Spielpraxis liegen: Eine Tatsache, mit der jeder Spieler eines Saiteninstruments umgehen muss, ist die zunehmende Bundunreinheit, je älter eine Saite wird. So muss man z.B. bei einer Gambe (wenn man nicht alle paar Monate alle Saiten wechseln möchte) mit der Zeit die Bünde immer weiter in Richtung Obersattel schieben, da die gegriffenen Töne sonst immer höher werden. Dasselbe Problem existiert auf der Trompette marine auch. So könnte es ein durchdachter Kunstgriff sein, die zunehmende Bundunreinheit durch einen in der Längsrichtung verschiebbaren Schnarrsteg kompensieren zu können.
Leider ist der originale Schnarrsteg der Trompette marine im Musée Crozatier nicht mehr erhalten. Prin selbst schreibt über den Schnarrsteg oder „Chevalet“ folgendes: [16]
„Ce Chevalet est indispensablement necessaire pour Friser sur la superficie de la Table et produire par son moyen les sons de Trompettes. il est tres difficille d’en avoir un bon et bien à son point, il faut en cela comme en bien d’autres choses de l’attention et de l’intelligence. La forme de ce Chevalet est dessinée sur la feüille cy devant.“
„Dieser Steg ist unverzichtbar notwendig, um auf der Decke zu vibrieren, und dadurch den Trompetenklang zu erzeugen. Es ist sehr schwierig, einen guten Steg zu haben, der auch noch an der richtigen Stelle steht. Es ist dies - wie andere Dinge auch - eine Sache der Aufmerksamkeit und Intelligenz. Die Form des Steges habe ich auf das vorige Blatt gezeichnet.“
Die Funktionsweise des Schnarrsteges besteht darin, dass die über den stationären Stegfuß (A) geführte Spielsaite den Steg in eine laterale Schwingung versetzt. Dadurch wird der verlängerte Stegfuß (B) abwechselnd angehoben und auf die Decke geschlagen. Dies erzeugt den charakteristischen schmetternden, trompetenähnlichen Klang des Instruments.
In seinen Mémoires spricht Prin auch von einem Untersattel von ca. 13,5 mm Höhe, über den die Spielsaite laufen solle. [17] Auf Prins Zeichnung ist davon allerdings – genauso wie bei der Trompette marine im Musée Crozatier – nichts zu erkennen.
Ein wichtiges Charakteristikum der Trompette marine ist, dass der untere Rahmen aus Hartholz (vermutlich Ahorn), auf welchen die Späne und die Decke geleimt sind, offen ist, und den Blick in das Instrumenteninnere erlaubt. Bei genauer Betrachtung der Unterseite des Oberklotzes sieht man einen eingeleimten Instrumenten-Zettel.
Der Text lautet: F Saraillac A. Lyon 16??. Leider sind die letzen beiden Ziffern der Jahreszahl nicht mehr lesbar. Auf die Distanz sieht die letzte Ziffer wie eine 5 aus. Bei genauerer Betrachtung in der Vergrößerung stellt sich aber heraus, dass der obere Haken die Unterlänge von Lyon ist, und nichts mit der Jahreszahl zu tun hat.
Abgesehen von der Erwähnung des Instrumentenbauers „Seraillac“ im Traité Prins [18] und der vorliegenden Trompette marine sind noch zwei weitere Instrumente von François Saraillac (* vor 1679, † nach 1711) bekannt. Eine Pochette (Lyon, 1679) die sich im Slowenischen Nationalmuseum befindet, [19] und eine Bassgambe mit dem Etikett: FRANÇOIS SARAILLAC / A LYON 1711, von der aber nur noch ein geschnitzter Frauenkopf im Musikinstrumenten-Museum Berlin [20] erhalten ist. Darüber hinaus existiert noch ein Dokument mit der Unterschrift Saraillacs. [21] Es handelt sich dabei um den Nachlass des – ebenfalls von Prin erwähnten – Lyoneser Instrumentenbauers François Gouttenoire aus dem Jahr 1694.
Ein weiterer entscheidender Hinweis auf eine Verbindung dieses Instruments von Saraillac zu Prin findet sich in der außergewöhnlichen Anordnung der Deckenbalken. Zwar existieren bei den ca. 190 [22] heute in Museen erhaltenen Trompettes marines die verschiedensten Bebalkungsvarianten, [23] das Instrument von Saraillac ist aber das einzige, das dem von Prin in seinem Traité gezeichneten Bebalkungsschema entspricht.
Allen Bebalkungs-Möglichkeiten bei der Trompette marine liegen folgende Überlegungen zugrunde: Um eine Deformation der Decke durch den stationären Fuß des Schnarrsteges zu vermeiden, muss dessen senkrecht auf die Decke einwirkender Druck aufgefangen werden. Obwohl die Trompette marine nur eine einzige Spielsaite hat, und der Saitenwinkel über dem Steg mit ca. 170° sehr klein ist, sind es aufgrund der hohen Saitenspannung (ca. 27 Kg) doch - je nach Steghöhe - 3 bis 4 Kg die auf der flachen Decke lasten.
Bei den meisten erhaltenen Trompettes marines ist die Decke innen mit 4-5 Querbalken verstärkt. Da der „schwebende“ Schnarrsteg-Fuß auf eine „freischwingende“ Deckenfläche aufschlagen sollte, ist es nicht möglich, einen solchen Querbalken direkt unter dem Schnarrsteg anzubringen. Weitere Möglichkeiten zur Deckenstabilisierung sind durchgehende Längsbalken in der Deckenmitte, wie ihn die Instrumente aus dem Kloster Katharinental (Schweiz/Thurgau) aufweisen, oder eine Kombination aus Querbalken und diagonalen Balken. [24] Einer dieser diagonalen Balken verläuft dann genau unter dem stationären Schnarrsteg-Fuß, lässt den Aufschlagbereich des Schnarrsteges aber frei.
Der große Vorteil eines Längsbalkens besteht darin, dass der Schnarrsteg in der Längsrichtung verschiebbar bleibt, während bei der Kombination von Querbalken mit diagonalen Balken der Schnarrsteg zu Regulierungszwecken nachträglich nicht mehr versetzt werden kann, z.B. um die zunehmende Bundunreinheit auszugleichen (s.o.). Prins Idee war somit eine Synthese von zwei Varianten. Die Decke (die bei Saraillac nur zwischen 2,5 und 2,8 mm dick ist) wird zwischen dem unteren Rahmen und dem ersten Querbalken durch einen Längsbalken verstärkt. So bleibt der Schnarrsteg verschiebbar, und gleichzeitig wird Decke in Längs- und Querrichtung stabilisiert. Der Längsbalken dient zusätzlich noch als Verstärkung der unteren Saitenaufhängung. Während die Abstände der vier Querbalken bei Prin kontinuierlich kleiner werden, sind es bei Saraillac fünf Querbalken mit annähernd gleichbleibenden Abständen (zwischen 151 und 161 mm). Auffallend ist der farbliche Unterschied der Balken (Fichte) beim Instrument von Saraillac. Einzig der Längsbalken scheint sich noch im Originalzustand zu befinden. Die fünf durchgehenden Querbalken wurden vielleicht im Zuge der Deckenrestauration (s.o.) abgelöst und wieder neu eingeleimt bzw. ersetzt. Nur am vorletzten Querbalken sind noch Reste einer dunkleren Färbung zu erkennen. Die Enden der Querbalken sind in rechteckige Ausschnitte in den Reifchen eingelassen. Die kurzen Querbalken beidseitig neben dem Längsbalken sind vermutlich nicht original und dienen der Deckenstabilisierung aufgrund des starken Holzwurmbefalls.
Die Zargen, die bei Saraillac mit 2,5-2,8 mm sehr viel dünner sind, als Prin angibt (1 ligne, 8 points = ca. 3,75 mm), sind im Korpusinneren durch eingeleimte Pergamentstreifen stabilisiert. Auf dem Pergament selbst ist noch eine ältere Beschriftung zu erkennen. Da Pergament teuer war, wurde es auf diese Weise wiederverwertet.
Der Korpus wird oben von einer achteckigen, profilierten, schwarz gebeizten Hartholzplatte (vermutlich Ahorn) abgeschlossen. Die Vorderseite dieser Platte ist mit Ebenholz furniert. Es ist durchaus möglich, dass auch bei diesem Instrument (wie bei einigen anderen [25]) der Hals zu Transportzwecken abnehmbar war. Die Ähnlichkeit der Halskonstruktion bei Saraillac mit dem oben erwähnten Instrument von Inber lässt auch hier auf eine Verbindung mittels Holzgewinde schließen. Dies ließe sich allerdings nur durch eine Röntgenuntersuchung verifizieren, da sich der Hals im heutigen Zustand nicht bewegen lässt, ohne eine Beschädigung der Randverzierungen zu riskieren.
Der Hals aus schwarz gefärbtem Hartholz (vermutlich Ahorn) ist auf der Vorderseite mit der gleichen Randverzierung aus Ebenholz und Knochen versehen wie die Decke. Die flache Halsoberseite ist gleichzeitig das Griffbrett, wobei die Saite nicht wirklich auf demselben abgegriffen wird, sondern – zur Erzeugung der Obertöne – mit dem Daumen berührt wird.
Prin schreibt in seinem Kapitel „Über die Spielart“: [26]
"le poulce couché de côté et touchant la corde entre le coin de l’ongle et la chair: car à plat on ne pourroit rien faire, les nottes doivent être gradüées et écrittes partie sur la table, et le Reste sur le manche de la Trompette, et c’est vis à vis d’Elles qu’il faut toucher celles dont on a besoin pour former les sons qui composent les airs qu’on a dessein d’executer.“
„Der auf die Seite gedrehte Daumen berührt die Spielsaite zwischen der Ecke des Nagels und dem Fleisch, denn mit dem flachen Daumen könnte man nichts ausrichten. Die Noten sollten teils auf der Decke, der Rest auf dem Hals der Trompette eingeteilt und beschriftet werden. Genau gegenüber sollte man diese berühren, um die Töne zu spielen, aus welchen die Stücke bestehen, die man spielen möchte.“
Diese bei Prin genannten Markierungen der Obertöne finden sich auch am Instrument vom Saraillac. Es handelt sich um schmale Elfenbeinstreifen, die in das „Griffbrett“ eingelegt sind. Bei der Messung der Proportionen dieser Markierungen fällt auf, dass diese nicht den tatsächlichen Verhältnissen der Obertöne entsprechen. Es stellt sich somit die Frage, ob diese Markierungen nur eine grobe Orientierung darstellen sollten, oder ob sie vielleicht später ergänzt wurden.
Der Hals wird von einem Wirbelkasten mit geschnitztem Delphinkopf abgeschlossen, aus dessen Maul eine schmale rote Zunge hervorragt.
Im Wirbelkasten selbst befindet sich ein eiserner Wirbel. Um der hohen Saitenspannung standzuhalten, ist dieser mit einem Zahnrad und Sperrklinke versehen. Auch dies entspricht genau der detaillierten Beschreibung Prins:
„on l’attache au bas de la Trompette et on l’étend jusqu’à la Teste où est une cheville de fer autour de laquelle on en assujettit le bout, cette cheville se met à droite et doit avoir à l’entrée du col une petite roüe de fer ou d’Acier avec des crans fins, contre le manche et un peu au dessous de cette Roüe, est attaché un petit valet de retenüe aussi de fer ou d’acier, qui doit se rencontrer aux Crans de lade. roüe pour la retenir, il faut que les crans soient arrondis par un côté, afin que l’on puisse tendre la Corde sans estre obligé de toucher au Valet de retenüe, qui se doit placer de lui même et auquel on ne doit porter la main que lorsqu’il faut détendre;“ [27]
„Man befestigt die Saite am unteren Ende der Trompette und führt sie bis zum Kopfe. Hier befindet sich ein Eisenwirbel, auf welchen das Saitenende gewickelt wird. Dieser Wirbel wird auf der rechten Seite angebracht, und muss ein am Wirbelkasten anliegendes kleines Rad aus Eisen oder Stahl mit feinen Zähnen haben. Etwas unterhalb dieses Zahnrades ist am Hals eine kleine Sperrklinke ebenfalls aus Eisen oder Stahl montiert. Diese rastet in die Zähne des oben genannten Rades ein, um es zurückzuhalten. Die Zähne sollten auf einer Seite abgerundet sein, damit man die Saite spannen kann ohne die Sperrklinke berühren zu müssen. Sie sollte von selbst halten, und nur bedient werden müssen um sie zu lösen.“
Auf der dem Zahnrad gegenüberliegenden Seite des Wirbelkastens befindet sich ein zweites Wirbelloch mit ca. 5 mm Durchmesser (der zugehörige Wirbel ist nicht erhalten). Wozu ein zweiter Wirbel, wenn es doch nur eine Spielsaite gibt?
Der Funktion dieses Wirbels in Verbindung mit einer Hilfssaite, dem sogenannten „Guidon“ ist es – laut Prin – zu verdanken, dass man auf einer Trompette marine abwechselnd mit der Strahlkraft einer geblasenen Trompete und der Weichheit einer Traversflöte spielen konnte („puisque j’ai trouvé le moyen de luy donner la force d’une trompette de bouche [et] la douceur d’une flute ...“ [28]). Der Guidon ist für Prin von zentraler Bedeutung für ein differenziertes und kultiviertes Spiel. Er widmet diesem gleich mehrere Abschnitte in seinem Traité:
„Observez que la teste a deux chevilles, l’une de fer dont la Roüe et le valet de retenüe sont à droite, et la petite cheville de Guittaire se met à gauche, en voici la raison: lorsqu’on est à joüer et que l’on sent qu’il convient de tendre ou de détendre cette petitte corde, la main gauche qui ne tient rien, tourne ou détourne la cheville dans un clin d’oeil, au lieu qu’il faudroit de la droite quitter l’archet et le reprendre ce qui retarderoit dans l’execution.“ [29]
„Beachtet, dass sich im Kopf zwei Wirbel befinden. Ein eiserner mit Zahnrad und Sperrklinke rechts, und der kleine Gitarrenwirbel links. Der Grund ist folgender: Wenn man gerade am Spielen ist und bemerkt, dass es angebracht wäre die dünne Saite zu spannen oder zu entspannen, kann man mit der linken Hand, die nichts halten muss, den Wirbel auch in einem Moment drehen, in welchem die Rechte den Bogen ablegen und wieder aufnehmen müsste, was das Spiel verzögern würde.“
„J’apelle cette petitte Corde le Guidon, parce que c’est elle qui gouverne le Chevalet. en la tendant à son juste point elle fait frémir le chevalet et forme les sons de Trompette, en la détendant eile l’assourdit. C’est dans cette sçituation que j’imite la flute traversiere, et que je joüe des airs tendres qu’on croiroit ne pas convenir à cet instrument, …" [30]
„Ich nenne diese dünne Saite den “Guidon”, da dieser den Steg kontrolliert. Er hält ihn an seinem richtigen Platz und lässt den Steg mit einem Trompeten-Klang vibrieren. Wenn man ihn entspannt, verstummt dieser. Auf diese Art imitiere ich eine Traversflöte und spiele zarte Airs, von welchen man nicht glauben würde, dass sie für dieses Instrument geeignet wären.“
„Le Moyen donc quej’ay inventé c’est de percer avec une petitte haleine le coin de la table et de l’éclisse du côté droit vis à vis le milieu de l’intervalle du chevalet et du muffle, d’y passer une petitte corde à boyau de la grosseur d’une 3e. de violon, de l’arrester au côté de l’éclisse par un petit noeud, de la passer vis à vis son trou autour de la grosse Corde une ou deux fois, puis l’arrester d’un noeud, revenir avec cette même corde au milieu de cette bride, là y faire un noeud coulant et l’étendre ensuitte vers la teste de la Trompette à la gauche de laquelle sera une petitte cheville de guittarre, où on l’attachera; de maniere que cette corde êtant par le bas fixfée à droite et La cheville en haut la fixant à gauche, eile croise la grosse Corde à la verité, mais on doit empêcher qu’elles ne se touchent, pour cet effet/ il faut que la petitte Corde croise sous la grosse, que le sillet du manche soit percé environ 3. lignes plus bas que le cran d’apui de la grosse corde, et que cette petite corde passée par ce trou et arrêttée à la cheville, soit assez elevée pour ne pas traîner sur la table, et quelle ne le soit pas trop affin quelle ne touche point à la grosse Corde.“ [31]
„Das von mir erfundene Mittel besteht also darin, mit einer kleinen Ahle ein Loch in die Ecke von Decke und rechter Zarge zu bohren. Dies genau gegenüber der Mitte zwischen Steg und Untersattel. Durch dieses Loch steckt man eine dünne Darmsaite von der Stärke einer 3. Geigensaite, welche auf der Zargenseite durch einen kleinen Knoten gehalten wird. Dann bindet man eine ebensolche ein oder zwei Mal um die Spielsaite und befestigt sie mit einem Knoten. Man führt die erste Saite durch diese Schlaufe um so einen gleitenden Knoten zu erhalten, um sie dann Richtung Kopf der Trompette zu spannen. Dort befindet sich links ein Gitarrenwirbel, an welchem man sie befestigt. Diese Saite ist unten auf der rechten Seite befestigt, der Wirbel oben jedoch links. Aber man muss verhindern, dass sie sich berühren. Deswegen muss die dünne Saite unter der dicken kreuzen indem man durch den Obersattel ein Loch bohrt, welches sich ungefähr 3 Linien (7 mm) unter der Auflagekerbe der Spielsaite befindet. Die dünne Saite wird durch dieses Loch geführt und am Wirbel befestigt. Sie muss hoch genug sein, um nicht die Decke, und tief genug, um nicht die Spielsaite zu berühren.“
Die folgende Zeichnung veranschaulicht das Prinzip des von Prin beschriebenen Guidons, wie er an der Trompette marine von Saraillac ausgesehen haben könnte:
Leider sind durch die Deckenrestauration alle Spuren einer unteren Guidon-Befestigung vernichtet worden. Das von Prin erwähnte „Guidonloch“ müsste sich am Rand des unteren linken (von vorne gesehen) Deckendrittels befinden.
Die dicke blanke Spielsaite aus Darm, die sich heute auf dem Instrument befindet ist mit einem Durchmesser von 4,6 - 4,9 mm wahrscheinlich nicht original. Genauso wie bei der Naturtrompete waren die Haupttonarten, in welchen die Trompette marine gespielt wurde, D-Dur, C-Dur, seltener E-Dur. Das würde bei einer auf D (69.3 Hz) gestimmten Spielsaite (blanker Darm, Dichte: 1276 Kg/m3) mit dem oben genannten Durchmesser von 4,6 mm und bei einer schwingenden Saitenlänge von 1570 mm einen Saitenzug von 102 Kg bedeuten (die maximale Belastbarkeit/ Reißgrenze einer blanken Darmsaite liegt bei ca. 40 Kg [32]). Prin erwähnt, dass man keine zu dünnen Saiten verwenden solle, und so wäre eine Saitenstärke von ca. 2,3 mm (26 Kg Saitenzug) für dieses Instrument wohl realistisch.
Ein großer Unterschied zwischen Prins Text/Zeichnung und dem Instrument von Saraillac liegt im Fehlen der Resonanzsaiten bei letzterem.
„Elle est de mon invention. avant de coller la derniere table de l’instrument ou pendant qu’on le construit, il faut faire une mortoise au bas du manche […] d’environ deux doigts de profondeur large autant que le Corps et longue de quatre poulces et même plus s’il est besoin, c’est là qu’on établit des chevilles de fer, comme celles d’un davecin rangées par 3. rangs en biais, Trois l’une sur l’autre, ce qui peut contenir 21. ou 24. Cordes de Laiton. Ces cordes doivent avoir la longueur du Corps de la Trompette, elles sont acrochées par en bas à des pointes fixes qui tiennent au dessous du Cercle, le tout précisément comme à un Clavecin.“ [33]
„Dies ist meine eigene Erfindung: Vor dem Verleimen der Decke, oder während der Konstruktion des Instrumentes sollte in den Oberklotz ein ungefähr 2 Pouces [54,1 mm] tiefes Kästchen so breit wie der Corpus und mit einer Länge von 4 Pouces [108,2 mm] oder mehr - falls notwendig - gestemmt werden. Hier werden Eisenwirbel wie bei einem Cembalo eingesetzt und in drei Reihen, eine über der anderen, angeordnet und mit 21 oder 24 Messingsaiten bespannt. Die Saiten müssen die Länge des Corpus der Trompette haben und sind am unteren Ende an Stiften im Rahmen eingehängt. Alles genau so wie bei einem Cembalo.“
Die Resonanzsaiten, die laut Prin alle im Unisono mit der Spielsaite gestimmt sind, verbessern zwar die Ansprache der Obertöne und verleihen dem Instrument einen künstlichen Nachhall, machen aber den Bau des Instrumentes entsprechend komplizierter. Unter den bis heute bekannten 191 erhaltenen Trompettes marines sind nur 11 mit Resonanzsaiten versehen. Die Ausstattung mit Resonanzsaiten scheint somit eine „Luxusvariante“ der Trompette marine gewesen zu sein. Sozusagen eine „Trompette de luxe“.
Es handelt sich bei dem Instrument im Musée Crozatier um ein einzigartiges Beispiel für den Bau französischer Trompettes marines um 1700. Dies besonders durch die enge Verbindung zum Traité des barocken Trompette marine-Virtuosen J.-B. Prin . Es bleibt zu hoffen, dass die notwendige Restaurierung und Stabilisierung des Instruments (vor allem eine Behandlung des akuten Holzwurmbefalls) in nächster Zeit stattfinden wird. Sehr empfehlenswert wäre auch ein Nachbau dieses interessanten Instruments zur weiteren praktischen Erforschung.