Zur Ikonographie der Viola da gamba im Umfeld Ganassis

Veröffentlicht: 23.09.2013     Autor/in: Martina Papiro

Abstract

Vortrag anlässlich der Galpin Society/CIMCIM-Konferenz «Musical Instruments – History, Science and Culture» in Oxford, UK, Faculty of Music, 25–29. Juli 2013.

Forschungsprojekt

Transformationen instrumentaler Klanglichkeit

Zitierweise

Martina Papiro, "Zur Ikonographie der Viola da gamba im Umfeld Ganassis". Forschungsportal Schola Cantorum Basiliensis, 2013.
https://forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/de/forschung/fruehe-streichinstrumente-1/papiro-ikonographie-viola-da-gamba.html (Abgerufen am TT MM JJJJ)

Lizenz

The text of this article is provided under the terms of the Creative Commons License CC-BY-NC-ND 4.0

Abb. 2: Silvestro Ganassi, Fontegara, Venedig 1536,Titelbild.
Foto: Museo internazionale e biblioteca della musica di Bologna

Der Vergleich mit dem Titelbild der Fontegara von 1536 (Abb. 2) spricht für den Mann am linken Bildrand. Doch über die Ähnlichkeit der beiden Figuren hinaus gibt es kaum weitere Anhaltspunkte. Zudem ist ein vermeintliches Portrait ohne Untersuchung der szenischen Kontextualisierung nicht aussagekräftig. Dabei sollte auch beantwortet werden, weshalb sich Ganassi – wenn er es denn ist – eine Randposition zuweist, wer dann die anderen Personen sein sollen, und was ihr Blick- und Gebärdenspiel bedeutet [3].

Abb. 3: Anonym, Portrait eines Mannes mit Gambe und Zirkel
Foto: Umschlag der Zeitschrift «Musiques, images, instruments» 5 (2003)

So sind auch Identifikationsversuche anderer Portraits nicht weiterführend. Beispielsweise konnte das anonyme Bildnis in einer französischen Privatsammlung (Abb. 3) nicht überzeugend als Portrait von Ganassi ausgewiesen werden, gerade weil sich die Interpretation in Widersprüchen zwischen Möglichem und Wünschbarem verstrickt [4]. Die Gambe als Attribut des Mannes bildet den einzigen Anhaltspunkt für die Identifikation mit Ganassi, während etwa die Kleidung auf einen Kleriker hinweisen soll, der Zirkel dagegen auf den Kontext der Theoretiker, Baumeister und Architekten. Völlig rätselhaft bleibt schließlich der Sinn des Heiligenscheins, der sich deutlich links hinter der Kopfbedeckung des Mannes abzeichnet.


Zurück zu den Darstellungen der Instrumente in Ganassis Drucken. Auf dem Titelbild der Regola Rubertina sticht das Instrument des mittleren Spielers mit seinen eingezogenen Ober- und Unterbügeln besonders hervor. Weder bei erhaltenen Gamben noch in der Ikonographie vor 1542 trifft man auf eine vergleichbare große Viola da gamba. Belege finden sich nur bezüglich der Einzelteile und auch dies nur bei der Lira da braccio oder der Viola da mano bzw. ihren Darstellungen [5]. So wird die venezianische Gamben-Ikonographie durch die Darstellungen in den Drucken Ganassis erheblich erweitert. Allerdings sind für die Zeit bis 1550 bislang nur zwei Viola da gamba-Darstellungen bekannt, die in Venedig gemalt wurden.

Abb. 4: Tizian, sog. "Concerto", Florenz, Palazzo Pitti, Inv. 185.
Public domain

Das Gemälde illustriert das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus aus dem Lukas-Evangelium (XVI, 19–31): Der reiche Mann genießt in der lieblichen Umgebung seiner Landvilla und in Begleitung zweier Kurtisanen die Darbietung eines Musik-Ensembles. Dieses besteht aus Laute, Blockflöte, Viola da gamba und vermutlich Gesang. Der Bettler Lazarus – räumlich und akustisch durch das Ensemble zur Seite hin gedrängt – findet mit seinem Flehen um Almosen kein Gehör. Das Musiker-Ensemble evoziert musikalischen Wohlklang und lädt damit zur sinnlichen Wahrnehmung der gesamten Szene ein. Durch seine Scharnierposition bietet es einen Einstieg in die Reflexion über die dargestellte Parabel. Wie Philip Cottrell überzeugend darlegen konnte, ist die Parabel im Gemälde aktualisiert, und zwar in Bezug auf das für Venezianer angemessene Verhalten gegenüber Armen und Kranken [6].


Was das Gemälde Bonifacios mit Ganassis Titelbild zur Regola Rubertina verbindet, ist das Musiker-Ensemble mit Gambe als Zeichen von Kultiviertheit: Das Musizieren auf diesem Instrument geschieht in beiden Fällen im Rahmen eines privaten Kreises für oder von gebildeten und wohlhabenden Personen. Beide Werke adressieren Mitglieder der Oberschicht oder solche, die sich dazu zählen möchten.


Während also die ikonographische Kontextanalyse in Bezug auf Ganassis Aussehen bzw. Portrait und auf sein Gambenmodell sowie auf Konstruktionsmerkmale nur bedingt Hilfe leisten kann, bietet sie relevante Bestätigungen zur kulturhistorischen Einordnung des Instruments: Die Viola da gamba hat zur Mitte des 16. Jahrhunderts einen festen, angesehenen Platz in der zeitgenössischen Gesellschaft eingenommen.

[1]

Vgl. Kirnbauer 2013.

[2]

Für die ausführliche Besprechung der Bezüge zwischen dem Titelbild und der zeitgenössischen Musikkultur und Malerei s. Papiro 2018.

[3]

Auch zu diesem Aspekt s. Papiro 2018.

[4]

Gétreau 2003.

[5]

Für den Vergleich der ‘Ganassi-Gambe’ mit den erhaltenen originalen Streichinstrumente s. Menzel 2013. Für den Vergleich mit erhaltenen und dargestellten Lire da braccio s. Hirsch 2013. Für die Herleitung der besonderen Form der ‘Ganassi-Gambe’ ebda., und Hirsch 1999.

[6]

Cottrell 2005, 134: Die Sünde des Reichen bestünde in der Verschwendung von Speis und Trank, während der Arme abgewiesen wird. Denn die Schale mit Süßigkeiten (?) bleibt unangetastet liegen, und die Pagen im Hintergrund links trinken den Wein ihres Herrn (das Darreichen des Weinglases ist vermutlich mehr als Aufforderung zu einem Liebesdienst aufzufassen). «[…] the implication is that Dives’ sin arises not from the extent of his wealth, but from moral indolence that leads to the misuse and misapplication of wordly bounty.»